Liebe Geschwister!
Biblische Texte kommen uns manchmal ganz nahe. Sie kommen zu uns, um uns zu Gesprächspartnern zu werden. Sie wollen zu und mit uns reden. Sie wollen uns in ein Gespräch hineinziehen, das mit uns ganz persönlich zu tun hat, in ein Gespräch, indem es um den Mittelpunkt unseres Lebens geht. Doch oft wollen wir das nicht. Manchmal wollen wir nicht reden und nichts hören. Wir wollen in Ruhe gelassen und nicht angesprochen werden. Und wir sind es gewohnt, dass wir das akzeptieren. Bei biblischen Texten ist das aber anders. Sie lassen uns nicht in Ruhe, sondern sie drängen uns in ein Gespräch. Das tun sie, weil sie uns etwas sehr wichtiges zu sagen, etwas Not-wendiges, weil sie uns etwas zu sagen haben, was unsere Not wendet. Und doch wollen wir uns nicht auf das Gespräch einlassen. So gleichen wir manchmal einem Menschen, der vor einer drohenden Gefahr steht. Er hat Angst. Diese Angst lähmt ihn so sehr, dass er nur noch mit sich und der drohenden Gefahr beschäftig ist. Er kann und will nichts anderes mehr wahrnehmen. Der biblische Text will gerade sagen, dass die Gefahr gar nicht besteht. Der biblische Text sucht das Gespräch mit uns, weil er etwas zu sagen hat, was unsere Not wendet. Weil er uns sagen will, dass die Gefahr nicht besteht, dass wir keine Angst zu haben brauchen und aufatmen können. So will uns auch der heutige Predigttext zu einem Gesprächspartner werden. Er will zu uns reden, weil er uns sagen will, dass unsere Not gewendet, die Gefahr vorbei ist und wir aufatmen können:

2,12      Mit ihm, Christus, seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.
2,13      Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.
2,14      Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.
2,15      Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

Diese Worte wollen die ansprechen, die sich fürchten, diejenigen, die Angst haben, weil sie meinen eine große Gefahr stände ihnen bevor. Stellen wir es uns vor, die jemand Angst hat, und wie die Worte der Bibel zu ihm kommen, als wären sie ein guter alter Freund, der versucht mit dem angstvollen Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er sieht etwas, das ihm Angst macht, denn es ist furchtbar. Da nähert sich der Text behutsam, wie ein alter Freund. Er will mit ihm reden. Aber der Mensch, voller Angst, will nicht reden. Er will auch nichts hören. Er ist ganz und gar auf seine Angst konzentriert:

Der Text fragt: „Was siehst du denn, das dir Angst macht?“ Aber der Mensch antwortet nicht. Und wieder fragt der Text leise: „Wovor hast du solche Angst? Was siehst du?“ „Lass mich zu frieden“, ist die Antwort. Aber der Text lässt nicht locker: „Was ist los? Warum hast du Angst?“ Da kommt dann doch die Antwort, mit gepresster Stimme: „Ich sehe etwas Schreckliches, ein Ungeheuer. Es ist das Schlimmste. Es heißt Krieg. Aber – ich sehe noch mehr, ein anderes Ungeheuer. Es steht dahinter. Es ist gewaltig groß. Niemand kann ihm entkommen. Es ist böse. Es riecht nach Verwesung. Es ist der Tod. … Siehst Du die Ungeheuer auch?“ „Doch“, sagt der Text. „Sie sind entsetzlich. Ich verstehe, dass du Angst hast.“ „Was kann man tun?“, fragt der Mensch, „Kann man sich ablenken? Kann man die Augen schließen und so tun, als gäbe es die Ungeheuer nicht?“ „Nein“, ist die Antwort. „Wenn man die Augen schließt, dann sieht man sie immer noch. Sie sind nicht so harmlos, dass man sie so leicht vergessen könnte. Sie sind auch im Schlaf noch da. Manchmal träumst du sogar von ihnen.“ „Das weiß ich“, sagt der Mensch. „Aber sind sie denn wirklich so furchtbar?“ „Viel furchtbarer als du denkst“, kommt die Antwort des Textes. „Sei froh, dass du ihren ganzen Schrecken nicht mehr erleben musst! Es sind Herrscher. Es sind Gewaltige. Es sind schier unbesiegbare Mächte, Gewalt und Tod.“ „So kann man gar nichts tun?“, fragt der Mensch. „Doch. Es gibt etwas“, sagt der Text. „So sag es nur. Damit vielleicht die Angst schwindet oder wenigstens gemildert wird.“ „Du musst nicht nur“, sagt der Text, „auf diese Ungeheuer allein schauen. Du musst nicht nur den Tod anschauen, gebannt wie das Kaninchen vor dem bösen Blick der Schlange. Nicht nur die Gewalt, nicht nur den Tod. Du kannst deinen Blick weiter fassen. Du kannst noch mehr sehen als nur das Schreckliche. Du kannst es nämlich in einem anderen Zusammenhang sehen. Der verändert alles.“

Und nun zeigt der Text dem angstvollen Menschen einen überraschenden Zusammenhang, in dem das Böse und das Furchtbare stehen. Und dieser Zusammenhang ist ein Triumphzug. In Rom und in vielen anderen antiken Städten gab es zur damaligen Zeit solche Triumphzüge. Da wird für den siegreichen Feldherrn ein Triumphbogen aufgebaut. Und dann kommt der Feldherr mit seinem Heer aus der gewonnenen Schlacht zurück. Dann zieht der Triumphzug durch den Triumphbogen und durch die Straßen der Stadt. Da zieht der Sieger mit einem prächtigen Wagen mit Posaunenschall und Trompetenstoß und unter dem Jubel der Bevölkerung durch die Straßen. Und hinter ihm her werden die besiegten Gefangenen geführt. Der besiegte König, gefesselt und waffenlos, gedemütigt von dem, der ihn besiegt hat, und seine Fürsten und Generäle mit ihm. Da sieht man sie dann: die Besiegten, ihrer Macht entkleidet, öffentlich zum Gespött gemacht, mitten im Triumphzug des Siegers. Was sagt also der Text, dem der voller Angst vor den schrecklichen Mächten dieser Welt ist? Er sagt, dass diese Mächte in den Triumphzug Christi gehören! Das ist der Wortlaut unseres Textes: „Gott hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zum Gespött gemacht und hat über sie triumphiert in Christus“.

Das ist der Zusammenhang in den unser Text unsere Angst hineinstellt: die Mächte dieser Welt, diese Ungeheuer, die uns so Angst machen – sie alle sind öffentlich zum Spott gemacht und im Triumphzug hinter dem Sieger Christus hergeführt. Und wir sind Zeugen dieses Triumphzuges. Kein Grund zur Angst mehr. Das will uns unser heutiger Predigttext sagen. Und er fügt noch etwas Entscheidendes hinzu. Er sagt nämlich: „Du stehst unmittelbar neben Christus. Sieh nur ganz genau hin. Die Mächte und Gewalten sind hinter dir. Es wird nie mehr anders sein. Alles Entscheidende ist nämlich schon geschehen. Nicht das es keine Überraschungen und nichts Neues mehr gäbe. Aber eine unvergleichliche Situation ist eingetreten – das Spiel ist gewonnen. Die Wüste ist durchquert, die Feindschaft ist beendet, die letzte Versöhnung ist geschaffen, das große Ziel ist für immer erreicht. Der Gegner ist unausweichlich matt gesetzt. Nur er sieht er es noch nicht und er sucht noch einen Gegenzug. Der Frieden ist geschlossen, nur dass ein paar Versprengte noch weiterkämpfen, bis die entscheidende Nachricht sie erreicht. Nur dass Du manchmal noch weiterkämpfst, weil du nicht realisiert hast, was geschehen ist. Die alte Uhr ist abgelaufen, wenn das Pendel noch ein wenig nachschwingt. Am Ziel der Laufstrecke angekommen, das Zielband zerrissen, nur noch ein paar Meter auslaufen. Du stehst jetzt schon an einer Schwelle. Du stehst unmittelbar neben Christus. Neben ihm auf dem Wagen des Triumphators. Es wird nie mehr anders sein. Vor dir ist freier Raum. Deine Zukunft hat schon begonnen. Du bist schon jetzt, was du sein wirst. Du wirst Gott schauen. Du wirst mit Christus sprechen, dem Herrn, dem Freund. Dahin geht der Weg. Du hast das Furchtbare schon hinter dir. Dir kann nichts mehr geschehen!“

Es wird wohl unser Leben lang bei dem Versuch der biblischen Texte bleiben, mit uns in ein freundliches Gespräch zu kommen und uns Christus vor Augen zu malen. Ein für alle Mal begreifen werden wir es vielleicht nie, dass wir eigentlich keinen Grund mehr haben, ängstlich zu sein. Manchmal ist es uns klar. Dann haben wir das Gefühl großer Geborgenheit. Dann haben wird den wirklichen Sieger, Christus, innerlich deutlich vor Augen und sehen, dass nichts ohne ihn geschieht und die anderen Mächte ihm gegenüber ohnmächtig sind. Aber dann rücken sie wieder auf, diese Ungeheuer, und wir vergessen, dass sie in einen Zusammenhang gehören, nämlich hinter uns. Wenn wir das vergessen, nimmt unsere Angst wieder zu. Wir wollen dann aber die biblischen Worte an uns herankommen lassen. Denn sie wollen uns in ein Gespräch ziehen, das notwendig ist, weil es unsere Not wendet. Sie wollen uns Zusammenhänge sehen lassen, die uns sonst verborgen bleiben und die alles, ganz anders erscheinen lassen. Manchmal gehört einfach etwas Zeit dazu, diese Zusammenhänge zu erkennen. Es ist dann wie mit einem guten Gespräch: man braucht Zeit, um auf die wirklich entscheidenden Fragen zu kommen und um genau zu erfahren, wie es andere eigentlich meint. So steht uns heute dieses gewaltige Bild des Triumphzuges Jesu Christi vor Augen. Die besiegten Mächte sind alle noch da und nicht einfach verschwunden. Aber ein Stärkerer hat über sie triumphiert. Das geschah bei der Auferweckung Jesu Christi von den Toten. Und er, der Auferstandene, will uns für immer bei sich haben. Er will seine Zukunft mit uns teilen. Er ist neben uns, schon jetzt und für immer.
AMEN

                                                                                                         (Jürgen Stolze)