21,15    Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!

21,16    Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

21,17    Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

21,18    Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.

21,19    Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Liebe Geschwister!

Zwiespältig sind meine Empfindungen, ausgesprochen zwiespältig meine Gefühle und Gedanken, die durch den Predigttext, der uns für diesen Sonntag aufgegeben ist, in mir ausgelöst werden. Da ist zum einen diese dreimalige Frage Jesu: „Hast du mich lieb?“. Und da ist zum andern diese ruhige und klare Sicherheit, mit der Petrus hier antwortet und nun seinerseits sein dreimaliges „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“ spricht.

„Hast du mich lieb?“ – manchmal können Kinder so die Eltern fragen, wenn sie sich ihrer Beziehung zu ihnen nicht mehr so ganz sicher sind, wenn sie mit Worten oder auch Handlungen der Eltern ihnen gegenüber nicht mehr klarkommen. „Hast du mich lieb?“ Wer aus welchen Gründen auch immer genötigt ist, seine eigene Biographie unter diesem Blickwinkel zu betrachten, der kann dabei entdecken, wie vieles ihm oder ihr von den Eltern geschenkt wurde, selbst wenn viele Wünsche unerfüllt geblieben sind. Oder aber man muss entdecken, welch großer Mangel hier herrschte, wie groß das Defizit geblieben ist, trotz vieler äußerlichen Dinge, die man als Kind erhalten hat. Ein Leben ohne Liebe ist ein tief geschädigtes Leben. Und weh dem Menschen, der bis ins Alter hinein darum bemüht ist, sich Liebe und Zuneigung durch eigene Leistungen zu erwerben oder der dieses Defizit an empfangener Liebe durch welche Handlungen auch immer zu überdecken versucht und mühevoll kaschieren muss.

Zwiespältig sind meine Gefühle und Gedanken auch deshalb, weil ich sie noch im Ohr habe, diese zwar freundlichen aber doch auch ernsten und bohrenden Stimmen zumeist älterer Männer und Frauen, die uns als Jugendliche fragen konnten: „Liebst du deinen Heiland, hast du den Herrn Jesus lieb?“ Ich weiß nur, dass uns Jugendliche diese Fragen damals immer auch etwas peinlich berührten, weil wir nie so richtig wussten, was man darauf antworten soll. Meistens sagten wir ein Ja, um weiteren, unangenehmen Fragen nach dem Glauben und der Frömmigkeitspraxis zu entgehen, weil mir durchaus bewusst war, dass es Anlass gäbe, weiter nachzufragen.

Zwiespältig sind aber auch deshalb meine Empfindungen und Gedanken, weil Petrus so ruhig und klar antwortet. Er ist nicht peinlich berührt, um weiteren unangenehmen Fragen zu entgehen, sondern gewiss, selbst dann, als er beim dritten Mal traurig wird, wohl auch deshalb, weil er sich daran erinnert, dass er erst vor kurzem auch dreimal nach Jesus gefragt wurde und ihn dreimal verleugnet hat. Nicht nur da hat er ja den Mund zu voll genommen, als er erklärte, sein Leben für ihn lassen zu wollen, als er beteuerte, dass er sich niemals an Jesus ärgern würde, selbst wenn es alle anderen auch täten. Seine Natur, sein „mehr lieben wollen als andere“ ging immer wieder mit ihm durch und immer wieder tat er sich vor den anderen Jüngern hervor. Vielleicht ist auch deshalb in der ersten Frage Jesu die Steigerung enthalten: „Hast du mich lieber als mich diese haben?“ Ob er wieder so vorschnell mit seiner Antwort ist? Ob er wieder den anderen einfach ein Stück voraus sein will? Nein jetzt wird seine Beziehung zu Jesus nicht im Verglich mit den anderen Jüngern beschrieben. Nun gibt es für Petrus kein Schielen nach links und rechts, kein Vergleichen, kein Sich-abheben-wollen. Stattdessen, ganz schlicht, auch auf die erste Frage: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“

Sicherlich hat das auch etwas mit Gefühlen zu tun. Die Nähe eines geliebten Menschen muss einfach glücklich machen, auch wenn sich das nicht immer in irgendwelchen Gefühlswallungen äußern kann. Liebe ist ja weit mehr als nur ein Gefühl. Sie ist eine Haltung, die den ganzen Menschen bestimmt und in der der ganze Mensch mit seinem Tun und Lassen ausdrückt: Ich bin für dich da, ich lebe von dir her und auf dich hin. Nach dieser Haltung fragt Jesus und mit seinem Ja sagt Petrus: Ja, ich bin ganz für dich, Jesus, da – ich lebe ganz von dir her und ganz auf dich hin; du weißt, dass es so ist. Das kann nun doch bei uns allen zwiespältige, vielleicht sogar beklemmende Empfindungen und Gedanken auslösen.

Zum einen erkennen wir, wie reich Petrus darin ist, dass er dieses Ja so bestimmt und zweifelsfrei aussprechen kann. In seiner Liebe zu Jesus hat dieser Mann Petrus einen Reichtum des Lebens, der unerschöpflich ist und mit dem sich kein anderer Reichtum vergleichen lässt. Durch sein Leben von Jesus her und zu Jesus hin ist er gerüstet für alle Zwischenfälle des Lebens. Liebe ist der einzige, wirkliche, standhafte Reichtum des Lebens. Und wenn wir das bedenken, dann mag uns in dieser Beziehung unsere ganze Armseligkeit vor Augen stehen. Gibt es in meinem Leben irgendetwas oder irgendjemand, von dem her und auf den hin ich lebe, für den ich ganz und gar da bin?

Zum andern kann es beklemmende Gedanken auslösen, dass hier nicht irgendjemand nach unserer Liebe fragt, sondern dass es dieser Jesus ist. Nicht ob er irgendjemanden liebe, wird Petrus gefragt, sondern ob er Jesus so liebe, wie man Gott lieben soll: über alle Dinge, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all seiner Kraft. Und darauf antwortet Petrus mit einem so runden und klaren Ja! Wenn Jesus uns gefragt hätte, wenn er uns jetzt fragen würde – müssten wir nicht unruhig und unsicher werden? Müssten wir nicht uns selbst eingestehen, wie gleichgültig, wie distanziert, wie wenig erwärmt unser Herz ist, vielleicht trotz allen eifrigen Mitlebens oder gar Mitarbeitens in der Gemeinde? Und müssten wir nicht zumindest klammheimlich zugeben, dass es sehr wohl Dinge gibt, die wir mehr lieben und von denen wir uns mehr versprechen und an denen wir mehr hängen und denen wir auch viel entschiedener anhängen. Und jetzt bin ich doch, auch wenn vielleicht liebevoll und behutsam verpackt, genau bei dieser inquisitorischen Frage gelandet, die uns immer wieder begegnet. Und die oftmals einen so vorwurfsvollen Unterton hat, weil unterstellt wird, man würde nicht richtig lieben.

Aber nicht dazu ist das Evangelium da, um als Moralpredigt ausgelegt und missbraucht zu werden. Nicht dazu wird uns diese Geschichte erzählt, um uns niederzumachen oder gar in Niedergeschlagenheit zu stürzen. Nicht dazu ist ein Gottesdienst da, um Defizite auszubreiten und einen Mangel oder eine Schwäche euch genüsslich vor Augen zu malen, weil wir dem Vergleich mit Petrus, der die Forderung Jesu nach uneingeschränktem Glauben so ganz erfüllt, eh nicht standhalten können. Es ist vielmehr eine tröstliche und Mut machende Geschichte, weil sie uns zeigt, wie das zugeht, dass ein Mensch Jesus lieb gewinnt und mit solch klarem Ja auf Jesu Frage „Hast du mich lieb?“ antworten kann. Nicht nur sein jetziges Ja, sondern dieser ganze Petrus mit seinem ganzen Leben ist eine Antwort. Seine Liebe ist nicht angestrengte Erfüllung der göttlichen Liebesforderung durch eigene Kraft. Bei diesem Unterfangen käme nichts anderes heraus als Heuchelei. Seine Liebe ist auch nicht der Beweis seiner natürlichen Liebesfähigkeit im Unterschied zu der Liebesunfähigkeit, die manche von uns beklommen in ihrem wenig erwärmten oder auch erkalteten Herzen feststellen müssen. Seine Liebe ist nicht eine von ihm hervorgebrachte Leistung und Tüchtigkeit.

Sondern seine Liebe ist Antwort, ist Echo auf eine andere, größere Liebe. Sie ist das menschliche Echo auf die göttliche Liebe, die er in Jesus und durch Jesus erfahren hat. Mit seinem Ja gibt Petrus Antwort auf das, was er von Jesus empfangen hat. Dass er jetzt so ganz für Jesus da ist, das ist Antwort, Echo, Dank für das unerschütterte Dasein Jesu für ihn. Es ist Dank für geschehene Vergebung.

Solange Petrus sich für einen wackeren, liebenswerten Mann hielt, hat es ihn wahrscheinlich nicht weiter erstaunt, dass Jesus ihn in seiner Jüngergemeinschaft haben wollte. Solange wir uns für recht annehmbare und ordentliche Leute halten, geht es uns leicht ein, wenn uns gepredigt wird, dass Gott uns annimmt und liebt. Aber wenn uns durch Gottes Geist die Augen über uns selbst aufgehen, wenn wir in seinem Lichte erkennen, wer wir sind, dann wird es unbegreiflich, dass Gott die Gemeinschaft mit mir sucht und mich findet und mich an sich bindet. Dann ist Grund gefunden, lauthals zu singen: „Mir ist Erbarmung wiederfahren, Erbarmung deren ich nicht wert.“ Die bedingungslose Gnade löst die Zunge zum Bekenntnis und führt zum Dienst. Mit dem dreimaligen Auftrag Jesu „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ kommt dies zum Ausdruck. „Ich habe dich lieb, ich vergebe dir“ und der damit nicht nur ein Echo in uns auslöst, sondern eine Freude und einen Frieden bringt, der höher ist als alle menschliche Vernunft und Unvernunft.

AMEN

(Jürgen Stolze)