10,35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.
10,36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
10,37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
10,38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
10,39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
10,40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
10,41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
10,42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
10,43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
10,44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
10,45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Liebe Geschwister!
Wenn man die Geschichte zum ersten Mal hört, kann man die Empörung der zehn anderen Jünger gut verstehen. Das Anliegen, das die beiden Brüder Johannes und Jakobus an Jesus herantragen, ist doch wirklich unerhört. Die Reaktion der anderen Jüngern können wir uns lebhaft vorstellen: „Wie könnt ihr nur so egoistisch sein? Ihr denkt ja wieder nur an euch selbst. Warum wollt ihr den etwas besonderes sein? Was wird dann aus uns? …“ Es scheint dann nur zu gerecht, dass Jesus diesen beiden eine klare Abfuhr erteilt. Diese Größenwahnsinnigen werden zur Vernunft gebracht. So scheint die Geschichte ein gutes Ende zu nehmen. So weit der erste Eindruck. Ist mit diesem ersten Eindruck das, was der Evangelist Markus uns erzählen will wirklich schon verstanden? Vor allem: Warum erzählt Markus uns diese Begebenheit. Die ganze Erzählung lässt ja auf die Jünger kein sonderlich positives Licht fallen. Es geht in dieser Geschichte um mehr, als nur eine Begebenheit aus dem Jüngerkreis Jesu. Es geht um etwas Grundsätzliches in der Nachfolge. Dem wollen wir noch einmal etwas nach-denken.
Wenn ich mir das Verhalten der beiden Brüder Johannes und Jakobus nun etwas genauer anschaue, merke ich mit einem Mal, dass dasselbe Verhalten mir bis heute auf Schritt und Tritt begegnet. Worum geht es? Jakobus und Johannes geht es um Anerkennung. Sie möchten, dass der Einsatz, den sie für die Nachfolge Jesu bringen, anerkannt wird. Unser Predigttext schließt an die Frage nach der Nachfolge und die dritte Leidensankündigung Jesu an. In 10,28-31 kommt Jesus im Gespräch mit seinen Jüngern zu dem Ergebnis: „Wer bereit ist für die Nachfolge Jesu die weltlichen Dinge, sein altes Leben hinter sich zu lassen, der wird dafür reich belohnt werden.“ Dieses Versprechen nehmen Johannes und Jakobus jetzt auf. Sie wollen jetzt konkret wissen, was für sie dabei heraus kommt. Sie waren bereit, für die Nachfolge Jesu vieles aufzugeben. Ihr sicheres Einkommen, ihr Zuhause haben sie aufgegeben, um Jesus nachzufolgen. Die Sicherheit, die sie hatten, haben sie fahren lassen, um mit Jesus durch die Lande zu ziehen. Nun hören sie das Versprechen Jesu, alle die sich auf ein Leben mit mir einlassen, werden dafür belohnt werden. Jetzt nehmen sie Jesus beim Wort. Jetzt gehen sie hin zu ihm, und fragen: „Jesus, sage uns, wirst du auch unsere Bitten erfüllen. Wird das, was wir am Ende herauskriegen, das sein, was wir erhoffen?“ Und, was sie erhoffen, ist nicht wenig. Sie haben kein kleines Ziel. Nein, sie wollen schließlich, wenn Gottes Reich verwirklicht ist, neben Jesus sitzen und mit ihm die Welt regieren.
Als die anderen zehn Jünger das hören, empfinden sie das als Anmaßung. Was soll den aus ihnen werden. Direkt neben Jesus sind nur zwei Plätze frei. Und wo bleiben sie. An ihre Schwestern und Brüder haben Jakobus und Johannes nicht gedacht. Was Markus hier aus dem Jüngerkreis berichtet, ist doch nur allzu menschlich. Wir als Menschen sind darauf angewiesen, dass unsere Arbeit und unser Einsatz Anerkennung finden. Uns ist es wichtig, dass auch äußerlich deutlich wird: „Was Du getan hast, was du tust, das ist richtig. Gott wird dich dafür belohnen.“ Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist in unserem Leben als Christenmenschen wichtig und treibt uns um. Doch wie geht Jesus mit der Frage um?
Zunächst fällt auf, dass Jesus die Frage der beiden Brüder eigentlich gar nicht abweist. Er sagt nicht kurz und schmerzlos: „Was ihr da wollt ist Quatsch. Ihr maßt euch da was an, was euch gar nicht zusteht.“ Nein, Jesus geht mit der Frage sehr feinfühlig um. Auch mit dem Protest der anderen Jünger geht Jesus sehr behutsam um. Er gibt den Zehn nicht einfach recht, sondern Jesus geht grundsätzlich auf die Frage der Anerkennung, der Macht und der Belohnung in der Nachfolge ein. Jesus spricht von sich selbst. Er sagt, was er in die Beziehung zu den Menschen, zu seinen Jüngerinnen und Jüngern einbringt. Zusammen gefasst ist das am Ende des Textes im Wochenspruch: „Der Menschensohn, also ich, Jesus, bin nicht zu euch gekommen, damit ich alles bestimme. Ich will mir nicht dienen lassen. Nein, ich bin gekommen, um meine Interessen hinten an zu stellen. Für mich sind erst die anderen, ihr als meine Jüngerinnen und Jünger, wichtig. Für euch will ich etwas tun.“
Jesus macht in diesem Wort etwas deutlich, was sein ganzes Leben auf der Erde bestimmt hat. Es geht ihm nicht darum, Macht auszuüben. Er ist nicht gekommen, um Menschen zu irgendetwas zu zwingen. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die Macht an sich zu reißen. Wegen der Wunder, die er getan hatte, hätte er die Massen der einfachen Menschen auf seine Seite ziehen können. Mit dem Volk, den Massen, im Rücken hätte er die Regierungsmacht an sich reißen und das Volk regieren können. Doch das wollte Jesus nicht. Jesus steigt aus der Struktur dieser Welt aus. Jesus macht den Ablauf dieser Welt nicht mit. Jesus steigt aus der Spirale der Macht und der Angst. Jesus macht es am Beispiel von den Herrschern dieser Welt deutlich. Macht braucht meist auch die Angst, um wirklich wirken zu können. Macht und Machtausübung führt immer wieder zu Angst und Furcht. Wer die Macht hat, will sie demonstrieren, will sie zeigen an Menschen und Geschicken. Doch leider ist das Spiegelbild der Macht meistens die Angst. Wer die Macht hat, will sie nicht teilen, darum muss er seine Gegner abschrecken. Der Gegner muss Angst haben, Angst davor, die Macht des einen oder der einen Gruppe anzutasten.
In seiner Antwort macht Jesus nun deutlich. In ihm, Jesus dem Menschensohn, kam Gott selbst auf die Erde. Als Gott Mensch wurde, hat er auf alle Macht verzichtet. Gott hätte die Menschen zu einem Leben mit ihm zwingen können. Gott hätte seine Macht einsetzen können, um die Menschen dazu zu bewegen, ihm zu folgen. Doch darauf hat Gott verzichtet. Wenn Gott seine Macht eingesetzt hätte, hätte das wieder zu Angst geführt. Hätte Gott die Menschen gezwungen, mit ihm zu leben, hätte ich als Mensch in der beständigen Furcht leben müssen, Gottes Anspruch nicht gerecht zu werden. So hat Gott auf die Macht verzichtet. Gott hat so sehr auf die Macht verzichtet, dass er für seinen Machtverlust gestorben ist. In der Passionszeit erinnern wir uns an den Machtverlust Gottes. Am Kreuz auf Golgatha wird eindrücklich: Gott hat auf alle Macht verzichtet. Machtloser als tot am Kreuz hängend konnte Gott nicht sein. Darum ist das Kreuz von Golgatha zum Zeichen der Liebe, zum Zeichen gegen die Macht und den Machtmissbrauch, zum Zeichen gegen die Angst und die Furcht geworden. Darauf weist Jesus seine Jünger hin.
Jesus weist seine Jünger zurecht. In ihrer Mitte, in der christlichen Gemeinde soll es nicht darum gehen, die Macht zu behaupten. Es soll nicht darum gehen, dass eine oder einer oder gar eine Gruppe mehr Anerkennung besitzt als andere. In der Gemeinde soll es kein Machtstreben, Suche nach Einfluss geben. Jesus ist daran gelegen, dass die Schwestern und Brüder in der Gemeinde ohne Angst miteinander leben können. Wer sich in der Gemeinde einbringen möchte, der soll dem anderen dienen. Jesus meint damit, gar nicht erst die Angst beim anderen zu provozieren. Wer dient, überwindet die Angst, weil er oder sie deutlich macht: „Ich will nicht über dich bestimmen, sondern ich suche nach Deinem Besten.“ Jesus ist uns zum Vorbild geworden. Er hat sein Leben gelassen, damit wir ohne Angst leben können.
AMEN
(Jürgen Stolze)