28,1      Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

28,2      Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.

28,3      Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.

28,4      Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

28,5      Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.

28,6      Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat;

28,7      und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

28,8      Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

28,9      Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.

28,10    Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Liebe Geschwister!

Wo stehen wir an diesem Ostermorgen? Sind wir bei den Jüngern um Petrus, die sich in einem Haus eingeschlossen haben, die die Fenster verdunkelt haben, um die Sonne an diesem Morgen außen vor zu lassen? Sie haben Angst, sie sind hoffnungslos, wie gelähmt. Alle ihre Träume und Hoffnungen sind zerplatzt wie Luftballons. Sie halten still, schweigen, bewegen sich nicht. Immer noch können sie es nicht fassen. Vorgestern war es erst, doch die Wunde in der Seele klafft immer noch. Nur durch das Schweigen und Stillehalten bleiben die Schmerzen erträglich.

Oder sind wir bei den Jerusalemer Bürgerinnen und Bürger, die längst wieder zur Tagesordnung übergegangen sind. Der Sabbat liegt hinter ihnen, das Fest, das Passah ist vorbei. Nun stellt sich der Alltag wieder ein. Die Normalität kommt wieder. Heute haben die Geschäfte wieder geöffnet, man geht seiner Arbeit nach. Das Fest scheint schon weit hinter einem zu lieben. Und an den Aufruhr um die Kreuzigung dieses Jesus von Nazareth erinnert man sich nur noch dunkel. Es ist schon zwei Tage her. Vorgestern, das interessiert heute doch nicht mehr. Heute sind ganz andere Sachen wichtig.

Oder, liebe Geschwister, wir gesellen uns zu den beiden Frauen. Treten wir neben sie, gehen wir mit ihnen. Sie wollen nach dem Grab sehen, Jesus den letzten Dienst erweisen, ihm das letzte Geleit geben. Wir wollen mit ihnen gehen und sehen, was sie finden, welche Erfahrungen sie machen.

Die beiden Marias gehen zum Grab, um danach zu sehen. Die Erinnerung an Jesus lebendig erhalten. Die eine von ihnen, Maria von Magdala, sie hat es am eigenen Leib erlebt, die heilende Wirkung der Nähe Jesu. Seine kompromisslose Gottesliebe, die ganz etwas anderes war, als die sonst übliche, alltägliche und gefällige Rede vom „lieben Gott“. Sie hat sie erlebt, die Liebe Gottes, die unsere Grenzen durchbricht, die weitergeht als unser Versagen, die über die Schuld und Not hinweggeht: zu den Frommen und Huren, die Liebe die sich hingibt bis in den Tod. Jesus, der all dies verkörperte, wie nie einer vor ihm, den hatte sie erlebt. Mit ihm war sie gegangen. Viele schöne Augenblicke mit ihm erlebt, wie manch andere auch. Träume geträumt, Utopien gesponnen, von einem völlig neuem Leben, von einer ganz anderen Welt, in der alles besser sein sollte. Diesen Vorstellen war sie gefolgt, indem sie Jesus nachfolgte. Doch dann hatte sie halt machen müssen, nur noch zusehen können, als diese kompromisslose Gottesliebe Jesus ans Kreuz brachte. Zu Ende sind die Träume. Jetzt kann sie nur noch Grabpflege betreiben. Frische Blumen gegen den Gestank der Verwesung. Wohlriechende Salben und Öle gegen den unbarmherzigen Gestank des Todes. Aber sich einzuschließen mit den andern Nachfolgern Jesu. Das konnte sie nicht mehr aushalten. Irgendetwas tun. Wenigstens sein Grab pflegen. Und mit dem Grab die Erinnerung an ihn. Noch einmal den alten Träumen nachhängen. Noch einmal seine Stimme hören mit dem inneren Ohr. Noch einmal tief im Inneren den Gefühlen seiner Nähre nachspüren. Erinnerungspflege.

Welche Gräber sehen wir vor uns. Gräber erstorbener Hoffnung, erloschener Liebe, stumm gewordenen Glaubens. Nach welchen Gräbern sehen wir. Vielleicht ein Bild von Kirche und Gemeinde, wie wir sie einmal erhofft haben, wofür geträumt und gekämpft haben. Aber längst hat uns Tod und Trauer überholt. Die Umstände, die Undurchsetzbarkeit, die praktischen und pragmatischen Schwierigkeiten haben unsere Hoffnungen und Utopien den Gar aus gemacht. Vielleicht sehen wir auch das Grab unseres eigenen Weges in der Nachfolge vor uns. Mit welche Elan waren wir ihn angetreten, mit welchen guten Vorsetzen sind wir losgegangen. Aber vieles ist entschlafen, ins uns gestorben. Aber manchmal tut es gut nach den Gräbern zu sehen, nochmals in den guten, alten Erinnerungen zu schwelgen.

Maria und ihre Freundin, die andere Maria, kommen zum Grab. Doch sie finden es nicht so, wie sie es erwartet haben. Das Grab ist offen, der große Stein zur Seite gewälzt. Und darauf sitzt ein Mann in einem weißen Gewand, ein Engel. Er spricht die Frauen an: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Er ist nicht hier.“ Er ist nicht hier, wo wir seine Erinnerung pflegen, wo wir uns um sein Grab sorgen. Mit viel Treue, mit viel Mühe, sogar mit manchem Erfolg. Er ist nicht hier, wo wir uns eingerichtet haben, auch gegen unser besseres Wissen. Er ist nicht hier, wo wir „zufrieden“ sagen und „resigniert“ meinen. Er ist nicht hier, wo wir allein in diesem Leben auf Christus hoffen und ins leere Grab starren.

Oft stehen wir vor dem Grab unserer Erinnerung und starren hinein. Wir suchen, als ob es dort eine Antwort gäbe. Wir schauen bange zurück auf ehemalige, andere, vielleicht auch bessere Zeiten. Können unseren Blick nicht lösen, nicht von der Pflege der Erinnerung lassen, als ob es dort die Lösungen für die Fragen von heute gäbe.

Diese Geschichte von Maria von Magdala und ihrer Freundin ist zunächst die Geschichte einer Enttäuschung. Sie suchen ihre Erinnerung am Grabe des Mannes, dem sie gefolgt sind. Sie suchen Trost darin, zurück zu blicken, noch einmal die alten Träume zu träumen, nochmals die alten Gefühle und Gedanke zu beleben. Als könnte das für die Zukunft helfen. Diese Erwartung, die so bitter enttäuscht wird, zeigt einen folgen schweren Irrtum. Auch unter den Christinnen und Christen gibt es die Erwartung, die Auferweckung Jesu von den Toten und der Glaube an das Geschehen an Ostern, würde das Alte wiederbeleben. Als würde der Geist und die Kraft der Auferweckung alles wieder so machen, wie es früher einmal war. Als würde er unsere Erinnerung reanimieren. Ein folgenschwerer Irrtum, denn immer noch schauen wir dann ins leere Grab und merken, diese Hoffnung auf Wiederbelebung wird schwer enttäuscht von dem, was Ostern geschehen ist. Der Engel in seiner Botschaft an die Frauen macht es deutlich: „Er ist nicht hier, den ihr sucht, er ist auferstanden.“ Was sucht ihr Gottes neues, den Tod überwindendes Leben in der Enge eurer Todeswelt? Kommt und seht, wo er gelegen hat. Seht hin, da war er. Sein von dem Todesvirus eures Lebens gezeichneter Leib. Das ist eure Welt; nein, das war eure Welt. Denn er, der Gekreuzigte ist nicht hier, nicht in eurer Erinnerung, ihr findet ihn nicht im Festhalten am Alten und indem ihr darauf hofft, dass das Alte wiederbelebt wird. Das leere Grab ist die Stätte eurer Vergangenheit, nicht der Quell für neue Hoffnung.“

Die Botschaft des Engels ist damit noch nicht zu Ende. Er schickt die Frauen nicht einfach fort, ohne ihnen einen Hinweis zu geben, wo sie Jesus, und mit ihm das neue Leben finden können. Doch er sagt ihnen nicht einen anderen Ort, sondern gibt ihnen einen Auftrag. Er gibt denen einen Auftrag, die eigentlich selbst nichts mehr wissen und können. Nicht ein Rezept, nicht eine Anweisung, wo Gott zu finden ist, sondern einen Auftrag: „Geht schnell, eilends hin. Macht euch auf den Weg. Kehrt um. Weg von den Gräbern, hinein ins Leben. Sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist. Gebt sie weiter diese Lebensbotschaft. Denen, die hoffnungslos sind, die nicht einmal zur Pflege des Toten und ihrer alten Hoffnungen in der Lage sind. Den Verzagten, die sich nur noch auf das Leben diesseits der Gräber verstehen. Sagt es hinein in die tote Kirche, die sich nicht mehr bewegt, in der alles beim alten bleibt. Geht zurück in euren Alltag. Dort wo ihr lebt, wo ihr eure Aufgaben habt, mitten hinein in die Welt. Und siehe, er, Jesus, der Auferweckte, wird vor euch hingehen. Er geht voran. Von Ostern her geht sein Leben euch voraus, und ihr geht auf ihn zu, nicht auf den Tod. Dort mitten im Alltag dieser Welt, werdet ihr ihn sehen.“ Und die beiden Frauen lassen sich auf die Worte des Engels ein. Sie gehen los, um ihre Erfahrung anderen zu berichten. Doch damit ist das Ende der Geschichte noch nicht erreicht.

Für die beiden Frauen bedeutet es ein Doppeltes. Sie sind erfüllt mit Furcht und großer Freude. Zu Ostern gehört beides. Die Furcht, nicht zu wissen, was kommen wird, das Alte hinter sich lassen zu müssen. Zugleich aber die große Freude, Jesus im Neuen finden zu können. Möge uns der heilige Geist Gottes mit beidem erfüllen, mit Furcht und großer Freude, damit wir im Neuen, im nicht vermuteten, im Unerwarteten, Gott selbst und das Leben finden mögen.

AMEN

(Jürgen Stolze)