Geistlicher Impuls zu Johannes 21, 15-19 am Sonntag Miserikordias Domini, am 1. Mai 2022

21,15    Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!

21,16    Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

21,17    Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

21,18    Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.

21,19    Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

 

Liebe Geschwister!

Zwiespältig sind meine Empfindungen, ausgesprochen zwiespältig meine Gefühle und Gedanken, die durch den Predigttext, der uns für diesen Sonntag aufgegeben ist, in mir ausgelöst werden. Da ist zum einen diese dreimalige Frage Jesu: „Hast du mich lieb?“. Und da ist zum andern diese ruhige und klare Sicherheit, mit der Petrus hier antwortet und nun seinerseits sein dreimaliges „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“ spricht.

„Hast du mich lieb?“ – manchmal können Kinder so die Eltern fragen, wenn sie sich ihrer Beziehung zu ihnen nicht mehr so ganz sicher sind, wenn sie mit Worten oder auch Handlungen der Eltern ihnen gegenüber nicht mehr klarkommen. „Hast du mich lieb?“ Wer aus welchen Gründen auch immer genötigt ist, seine eigene Biographie unter diesem Blickwinkel zu betrachten, der kann dabei entdecken, wie vieles ihm oder ihr von den Eltern geschenkt wurde, selbst wenn viele Wünsche unerfüllt geblieben sind. Oder aber man muss entdecken, welch großer Mangel hier herrschte, wie groß das Defizit geblieben ist, trotz vieler äußerlichen Dinge, die man als Kind erhalten hat. Ein Leben ohne Liebe ist ein tief geschädigtes Leben. Und weh dem Menschen, der bis ins Alter hinein darum bemüht ist, sich Liebe und Zuneigung durch eigene Leistungen zu erwerben oder der dieses Defizit an empfangener Liebe durch welche Handlungen auch immer zu überdecken versucht und mühevoll kaschieren muss.

Zwiespältig sind meine Gefühle und Gedanken auch deshalb, weil ich sie noch im Ohr habe, diese zwar freundlichen aber doch auch ernsten und bohrenden Stimmen zumeist älterer Männer und Frauen, die uns als Jugendliche fragen konnten: „Liebst du deinen Heiland, hast du den Herrn Jesus lieb?“ Ich weiß nur, dass uns Jugendliche diese Fragen damals immer auch etwas peinlich berührten, weil wir nie so richtig wussten, was man darauf antworten soll. Meistens sagten wir ein Ja, um weiteren, unangenehmen Fragen nach dem Glauben und der Frömmigkeitspraxis zu entgehen, weil mir durchaus bewusst war, dass es Anlass gäbe, weiter nachzufragen.

Zwiespältig sind aber auch deshalb meine Empfindungen und Gedanken, weil Petrus so ruhig und klar antwortet. Er ist nicht peinlich berührt, um weiteren unangenehmen Fragen zu entgehen, sondern gewiss, selbst dann, als er beim dritten Mal traurig wird, wohl auch deshalb, weil er sich daran erinnert, dass er erst vor kurzem auch dreimal nach Jesus gefragt wurde und ihn dreimal verleugnet hat. Nicht nur da hat er ja den Mund zu voll genommen, als er erklärte, sein Leben für ihn lassen zu wollen, als er beteuerte, dass er sich niemals an Jesus ärgern würde, selbst wenn es alle anderen auch täten. Seine Natur, sein „mehr lieben wollen als andere“ ging immer wieder mit ihm durch und immer wieder tat er sich vor den anderen Jüngern hervor. Vielleicht ist auch deshalb in der ersten Frage Jesu die Steigerung enthalten: „Hast du mich lieber als mich diese haben?“ Ob er wieder so vorschnell mit seiner Antwort ist? Ob er wieder den anderen einfach ein Stück voraus sein will? Nein jetzt wird seine Beziehung zu Jesus nicht im Verglich mit den anderen Jüngern beschrieben. Nun gibt es für Petrus kein Schielen nach links und rechts, kein Vergleichen, kein Sich-abheben-wollen. Stattdessen, ganz schlicht, auch auf die erste Frage: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“

Sicherlich hat das auch etwas mit Gefühlen zu tun. Die Nähe eines geliebten Menschen muss einfach glücklich machen, auch wenn sich das nicht immer in irgendwelchen Gefühlswallungen äußern kann. Liebe ist ja weit mehr als nur ein Gefühl. Sie ist eine Haltung, die den ganzen Menschen bestimmt und in der der ganze Mensch mit seinem Tun und Lassen ausdrückt: Ich bin für dich da, ich lebe von dir her und auf dich hin. Nach dieser Haltung fragt Jesus und mit seinem Ja sagt Petrus: Ja, ich bin ganz für dich, Jesus, da – ich lebe ganz von dir her und ganz auf dich hin; du weißt, dass es so ist. Das kann nun doch bei uns allen zwiespältige, vielleicht sogar beklemmende Empfindungen und Gedanken auslösen.

Zum einen erkennen wir, wie reich Petrus darin ist, dass er dieses Ja so bestimmt und zweifelsfrei aussprechen kann. In seiner Liebe zu Jesus hat dieser Mann Petrus einen Reichtum des Lebens, der unerschöpflich ist und mit dem sich kein anderer Reichtum vergleichen lässt. Durch sein Leben von Jesus her und zu Jesus hin ist er gerüstet für alle Zwischenfälle des Lebens. Liebe ist der einzige, wirkliche, standhafte Reichtum des Lebens. Und wenn wir das bedenken, dann mag uns in dieser Beziehung unsere ganze Armseligkeit vor Augen stehen. Gibt es in meinem Leben irgendetwas oder irgendjemand, von dem her und auf den hin ich lebe, für den ich ganz und gar da bin?

Zum andern kann es beklemmende Gedanken auslösen, dass hier nicht irgendjemand nach unserer Liebe fragt, sondern dass es dieser Jesus ist. Nicht ob er irgendjemanden liebe, wird Petrus gefragt, sondern ob er Jesus so liebe, wie man Gott lieben soll: über alle Dinge, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all seiner Kraft. Und darauf antwortet Petrus mit einem so runden und klaren Ja! Wenn Jesus uns gefragt hätte, wenn er uns jetzt fragen würde – müssten wir nicht unruhig und unsicher werden? Müssten wir nicht uns selbst eingestehen, wie gleichgültig, wie distanziert, wie wenig erwärmt unser Herz ist, vielleicht trotz allen eifrigen Mitlebens oder gar Mitarbeitens in der Gemeinde? Und müssten wir nicht zumindest klammheimlich zugeben, dass es sehr wohl Dinge gibt, die wir mehr lieben und von denen wir uns mehr versprechen und an denen wir mehr hängen und denen wir auch viel entschiedener anhängen. Und jetzt bin ich doch, auch wenn vielleicht liebevoll und behutsam verpackt, genau bei dieser inquisitorischen Frage gelandet, die uns immer wieder begegnet. Und die oftmals einen so vorwurfsvollen Unterton hat, weil unterstellt wird, man würde nicht richtig lieben.

Aber nicht dazu ist das Evangelium da, um als Moralpredigt ausgelegt und missbraucht zu werden. Nicht dazu wird uns diese Geschichte erzählt, um uns niederzumachen oder gar in Niedergeschlagenheit zu stürzen. Nicht dazu ist ein Gottesdienst da, um Defizite auszubreiten und einen Mangel oder eine Schwäche euch genüsslich vor Augen zu malen, weil wir dem Vergleich mit Petrus, der die Forderung Jesu nach uneingeschränktem Glauben so ganz erfüllt, eh nicht standhalten können. Es ist vielmehr eine tröstliche und Mut machende Geschichte, weil sie uns zeigt, wie das zugeht, dass ein Mensch Jesus lieb gewinnt und mit solch klarem Ja auf Jesu Frage „Hast du mich lieb?“ antworten kann. Nicht nur sein jetziges Ja, sondern dieser ganze Petrus mit seinem ganzen Leben ist eine Antwort. Seine Liebe ist nicht angestrengte Erfüllung der göttlichen Liebesforderung durch eigene Kraft. Bei diesem Unterfangen käme nichts anderes heraus als Heuchelei. Seine Liebe ist auch nicht der Beweis seiner natürlichen Liebesfähigkeit im Unterschied zu der Liebesunfähigkeit, die manche von uns beklommen in ihrem wenig erwärmten oder auch erkalteten Herzen feststellen müssen. Seine Liebe ist nicht eine von ihm hervorgebrachte Leistung und Tüchtigkeit.

Sondern seine Liebe ist Antwort, ist Echo auf eine andere, größere Liebe. Sie ist das menschliche Echo auf die göttliche Liebe, die er in Jesus und durch Jesus erfahren hat. Mit seinem Ja gibt Petrus Antwort auf das, was er von Jesus empfangen hat. Dass er jetzt so ganz für Jesus da ist, das ist Antwort, Echo, Dank für das unerschütterte Dasein Jesu für ihn. Es ist Dank für geschehene Vergebung.

Solange Petrus sich für einen wackeren, liebenswerten Mann hielt, hat es ihn wahrscheinlich nicht weiter erstaunt, dass Jesus ihn in seiner Jüngergemeinschaft haben wollte. Solange wir uns für recht annehmbare und ordentliche Leute halten, geht es uns leicht ein, wenn uns gepredigt wird, dass Gott uns annimmt und liebt. Aber wenn uns durch Gottes Geist die Augen über uns selbst aufgehen, wenn wir in seinem Lichte erkennen, wer wir sind, dann wird es unbegreiflich, dass Gott die Gemeinschaft mit mir sucht und mich findet und mich an sich bindet. Dann ist Grund gefunden, lauthals zu singen: „Mir ist Erbarmung wiederfahren, Erbarmung deren ich nicht wert.“ Die bedingungslose Gnade löst die Zunge zum Bekenntnis und führt zum Dienst. Mit dem dreimaligen Auftrag Jesu „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ kommt dies zum Ausdruck. „Ich habe dich lieb, ich vergebe dir“ und der damit nicht nur ein Echo in uns auslöst, sondern eine Freude und einen Frieden bringt, der höher ist als alle menschliche Vernunft und Unvernunft.

AMEN

(Jürgen Stolze)

 
 

Geistlicher Impuls zu Kolosser 2, 12-15
am Sonntag Quasimodogeniti, am 24. April 2022

Liebe Geschwister!
Biblische Texte kommen uns manchmal ganz nahe. Sie kommen zu uns, um uns zu Gesprächspartnern zu werden. Sie wollen zu und mit uns reden. Sie wollen uns in ein Gespräch hineinziehen, das mit uns ganz persönlich zu tun hat, in ein Gespräch, indem es um den Mittelpunkt unseres Lebens geht. Doch oft wollen wir das nicht. Manchmal wollen wir nicht reden und nichts hören. Wir wollen in Ruhe gelassen und nicht angesprochen werden. Und wir sind es gewohnt, dass wir das akzeptieren. Bei biblischen Texten ist das aber anders. Sie lassen uns nicht in Ruhe, sondern sie drängen uns in ein Gespräch. Das tun sie, weil sie uns etwas sehr wichtiges zu sagen, etwas Not-wendiges, weil sie uns etwas zu sagen haben, was unsere Not wendet. Und doch wollen wir uns nicht auf das Gespräch einlassen. So gleichen wir manchmal einem Menschen, der vor einer drohenden Gefahr steht. Er hat Angst. Diese Angst lähmt ihn so sehr, dass er nur noch mit sich und der drohenden Gefahr beschäftig ist. Er kann und will nichts anderes mehr wahrnehmen. Der biblische Text will gerade sagen, dass die Gefahr gar nicht besteht. Der biblische Text sucht das Gespräch mit uns, weil er etwas zu sagen hat, was unsere Not wendet. Weil er uns sagen will, dass die Gefahr nicht besteht, dass wir keine Angst zu haben brauchen und aufatmen können. So will uns auch der heutige Predigttext zu einem Gesprächspartner werden. Er will zu uns reden, weil er uns sagen will, dass unsere Not gewendet, die Gefahr vorbei ist und wir aufatmen können:

2,12      Mit ihm, Christus, seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.
2,13      Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.
2,14      Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.
2,15      Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

Diese Worte wollen die ansprechen, die sich fürchten, diejenigen, die Angst haben, weil sie meinen eine große Gefahr stände ihnen bevor. Stellen wir es uns vor, die jemand Angst hat, und wie die Worte der Bibel zu ihm kommen, als wären sie ein guter alter Freund, der versucht mit dem angstvollen Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er sieht etwas, das ihm Angst macht, denn es ist furchtbar. Da nähert sich der Text behutsam, wie ein alter Freund. Er will mit ihm reden. Aber der Mensch, voller Angst, will nicht reden. Er will auch nichts hören. Er ist ganz und gar auf seine Angst konzentriert:

Der Text fragt: „Was siehst du denn, das dir Angst macht?“ Aber der Mensch antwortet nicht. Und wieder fragt der Text leise: „Wovor hast du solche Angst? Was siehst du?“ „Lass mich zu frieden“, ist die Antwort. Aber der Text lässt nicht locker: „Was ist los? Warum hast du Angst?“ Da kommt dann doch die Antwort, mit gepresster Stimme: „Ich sehe etwas Schreckliches, ein Ungeheuer. Es ist das Schlimmste. Es heißt Krieg. Aber – ich sehe noch mehr, ein anderes Ungeheuer. Es steht dahinter. Es ist gewaltig groß. Niemand kann ihm entkommen. Es ist böse. Es riecht nach Verwesung. Es ist der Tod. … Siehst Du die Ungeheuer auch?“ „Doch“, sagt der Text. „Sie sind entsetzlich. Ich verstehe, dass du Angst hast.“ „Was kann man tun?“, fragt der Mensch, „Kann man sich ablenken? Kann man die Augen schließen und so tun, als gäbe es die Ungeheuer nicht?“ „Nein“, ist die Antwort. „Wenn man die Augen schließt, dann sieht man sie immer noch. Sie sind nicht so harmlos, dass man sie so leicht vergessen könnte. Sie sind auch im Schlaf noch da. Manchmal träumst du sogar von ihnen.“ „Das weiß ich“, sagt der Mensch. „Aber sind sie denn wirklich so furchtbar?“ „Viel furchtbarer als du denkst“, kommt die Antwort des Textes. „Sei froh, dass du ihren ganzen Schrecken nicht mehr erleben musst! Es sind Herrscher. Es sind Gewaltige. Es sind schier unbesiegbare Mächte, Gewalt und Tod.“ „So kann man gar nichts tun?“, fragt der Mensch. „Doch. Es gibt etwas“, sagt der Text. „So sag es nur. Damit vielleicht die Angst schwindet oder wenigstens gemildert wird.“ „Du musst nicht nur“, sagt der Text, „auf diese Ungeheuer allein schauen. Du musst nicht nur den Tod anschauen, gebannt wie das Kaninchen vor dem bösen Blick der Schlange. Nicht nur die Gewalt, nicht nur den Tod. Du kannst deinen Blick weiter fassen. Du kannst noch mehr sehen als nur das Schreckliche. Du kannst es nämlich in einem anderen Zusammenhang sehen. Der verändert alles.“

Und nun zeigt der Text dem angstvollen Menschen einen überraschenden Zusammenhang, in dem das Böse und das Furchtbare stehen. Und dieser Zusammenhang ist ein Triumphzug. In Rom und in vielen anderen antiken Städten gab es zur damaligen Zeit solche Triumphzüge. Da wird für den siegreichen Feldherrn ein Triumphbogen aufgebaut. Und dann kommt der Feldherr mit seinem Heer aus der gewonnenen Schlacht zurück. Dann zieht der Triumphzug durch den Triumphbogen und durch die Straßen der Stadt. Da zieht der Sieger mit einem prächtigen Wagen mit Posaunenschall und Trompetenstoß und unter dem Jubel der Bevölkerung durch die Straßen. Und hinter ihm her werden die besiegten Gefangenen geführt. Der besiegte König, gefesselt und waffenlos, gedemütigt von dem, der ihn besiegt hat, und seine Fürsten und Generäle mit ihm. Da sieht man sie dann: die Besiegten, ihrer Macht entkleidet, öffentlich zum Gespött gemacht, mitten im Triumphzug des Siegers. Was sagt also der Text, dem der voller Angst vor den schrecklichen Mächten dieser Welt ist? Er sagt, dass diese Mächte in den Triumphzug Christi gehören! Das ist der Wortlaut unseres Textes: „Gott hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zum Gespött gemacht und hat über sie triumphiert in Christus“.

Das ist der Zusammenhang in den unser Text unsere Angst hineinstellt: die Mächte dieser Welt, diese Ungeheuer, die uns so Angst machen – sie alle sind öffentlich zum Spott gemacht und im Triumphzug hinter dem Sieger Christus hergeführt. Und wir sind Zeugen dieses Triumphzuges. Kein Grund zur Angst mehr. Das will uns unser heutiger Predigttext sagen. Und er fügt noch etwas Entscheidendes hinzu. Er sagt nämlich: „Du stehst unmittelbar neben Christus. Sieh nur ganz genau hin. Die Mächte und Gewalten sind hinter dir. Es wird nie mehr anders sein. Alles Entscheidende ist nämlich schon geschehen. Nicht das es keine Überraschungen und nichts Neues mehr gäbe. Aber eine unvergleichliche Situation ist eingetreten – das Spiel ist gewonnen. Die Wüste ist durchquert, die Feindschaft ist beendet, die letzte Versöhnung ist geschaffen, das große Ziel ist für immer erreicht. Der Gegner ist unausweichlich matt gesetzt. Nur er sieht er es noch nicht und er sucht noch einen Gegenzug. Der Frieden ist geschlossen, nur dass ein paar Versprengte noch weiterkämpfen, bis die entscheidende Nachricht sie erreicht. Nur dass Du manchmal noch weiterkämpfst, weil du nicht realisiert hast, was geschehen ist. Die alte Uhr ist abgelaufen, wenn das Pendel noch ein wenig nachschwingt. Am Ziel der Laufstrecke angekommen, das Zielband zerrissen, nur noch ein paar Meter auslaufen. Du stehst jetzt schon an einer Schwelle. Du stehst unmittelbar neben Christus. Neben ihm auf dem Wagen des Triumphators. Es wird nie mehr anders sein. Vor dir ist freier Raum. Deine Zukunft hat schon begonnen. Du bist schon jetzt, was du sein wirst. Du wirst Gott schauen. Du wirst mit Christus sprechen, dem Herrn, dem Freund. Dahin geht der Weg. Du hast das Furchtbare schon hinter dir. Dir kann nichts mehr geschehen!“

Es wird wohl unser Leben lang bei dem Versuch der biblischen Texte bleiben, mit uns in ein freundliches Gespräch zu kommen und uns Christus vor Augen zu malen. Ein für alle Mal begreifen werden wir es vielleicht nie, dass wir eigentlich keinen Grund mehr haben, ängstlich zu sein. Manchmal ist es uns klar. Dann haben wir das Gefühl großer Geborgenheit. Dann haben wird den wirklichen Sieger, Christus, innerlich deutlich vor Augen und sehen, dass nichts ohne ihn geschieht und die anderen Mächte ihm gegenüber ohnmächtig sind. Aber dann rücken sie wieder auf, diese Ungeheuer, und wir vergessen, dass sie in einen Zusammenhang gehören, nämlich hinter uns. Wenn wir das vergessen, nimmt unsere Angst wieder zu. Wir wollen dann aber die biblischen Worte an uns herankommen lassen. Denn sie wollen uns in ein Gespräch ziehen, das notwendig ist, weil es unsere Not wendet. Sie wollen uns Zusammenhänge sehen lassen, die uns sonst verborgen bleiben und die alles, ganz anders erscheinen lassen. Manchmal gehört einfach etwas Zeit dazu, diese Zusammenhänge zu erkennen. Es ist dann wie mit einem guten Gespräch: man braucht Zeit, um auf die wirklich entscheidenden Fragen zu kommen und um genau zu erfahren, wie es andere eigentlich meint. So steht uns heute dieses gewaltige Bild des Triumphzuges Jesu Christi vor Augen. Die besiegten Mächte sind alle noch da und nicht einfach verschwunden. Aber ein Stärkerer hat über sie triumphiert. Das geschah bei der Auferweckung Jesu Christi von den Toten. Und er, der Auferstandene, will uns für immer bei sich haben. Er will seine Zukunft mit uns teilen. Er ist neben uns, schon jetzt und für immer.
AMEN

                                                                                                         (Jürgen Stolze)

Geistlicher Impuls zu Matthäus 28, 1-10
am Ostersonntag, am 15. April 2022

 

28,1      Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

28,2      Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.

28,3      Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.

28,4      Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

28,5      Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.

28,6      Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat;

28,7      und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

28,8      Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

28,9      Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.

28,10    Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

 

Liebe Geschwister!

Wo stehen wir an diesem Ostermorgen? Sind wir bei den Jüngern um Petrus, die sich in einem Haus eingeschlossen haben, die die Fenster verdunkelt haben, um die Sonne an diesem Morgen außen vor zu lassen? Sie haben Angst, sie sind hoffnungslos, wie gelähmt. Alle ihre Träume und Hoffnungen sind zerplatzt wie Luftballons. Sie halten still, schweigen, bewegen sich nicht. Immer noch können sie es nicht fassen. Vorgestern war es erst, doch die Wunde in der Seele klafft immer noch. Nur durch das Schweigen und Stillehalten bleiben die Schmerzen erträglich.

Oder sind wir bei den Jerusalemer Bürgerinnen und Bürger, die längst wieder zur Tagesordnung übergegangen sind. Der Sabbat liegt hinter ihnen, das Fest, das Passah ist vorbei. Nun stellt sich der Alltag wieder ein. Die Normalität kommt wieder. Heute haben die Geschäfte wieder geöffnet, man geht seiner Arbeit nach. Das Fest scheint schon weit hinter einem zu lieben. Und an den Aufruhr um die Kreuzigung dieses Jesus von Nazareth erinnert man sich nur noch dunkel. Es ist schon zwei Tage her. Vorgestern, das interessiert heute doch nicht mehr. Heute sind ganz andere Sachen wichtig.

Oder, liebe Geschwister, wir gesellen uns zu den beiden Frauen. Treten wir neben sie, gehen wir mit ihnen. Sie wollen nach dem Grab sehen, Jesus den letzten Dienst erweisen, ihm das letzte Geleit geben. Wir wollen mit ihnen gehen und sehen, was sie finden, welche Erfahrungen sie machen.

Die beiden Marias gehen zum Grab, um danach zu sehen. Die Erinnerung an Jesus lebendig erhalten. Die eine von ihnen, Maria von Magdala, sie hat es am eigenen Leib erlebt, die heilende Wirkung der Nähe Jesu. Seine kompromisslose Gottesliebe, die ganz etwas anderes war, als die sonst übliche, alltägliche und gefällige Rede vom „lieben Gott“. Sie hat sie erlebt, die Liebe Gottes, die unsere Grenzen durchbricht, die weitergeht als unser Versagen, die über die Schuld und Not hinweggeht: zu den Frommen und Huren, die Liebe die sich hingibt bis in den Tod. Jesus, der all dies verkörperte, wie nie einer vor ihm, den hatte sie erlebt. Mit ihm war sie gegangen. Viele schöne Augenblicke mit ihm erlebt, wie manch andere auch. Träume geträumt, Utopien gesponnen, von einem völlig neuem Leben, von einer ganz anderen Welt, in der alles besser sein sollte. Diesen Vorstellen war sie gefolgt, indem sie Jesus nachfolgte. Doch dann hatte sie halt machen müssen, nur noch zusehen können, als diese kompromisslose Gottesliebe Jesus ans Kreuz brachte. Zu Ende sind die Träume. Jetzt kann sie nur noch Grabpflege betreiben. Frische Blumen gegen den Gestank der Verwesung. Wohlriechende Salben und Öle gegen den unbarmherzigen Gestank des Todes. Aber sich einzuschließen mit den andern Nachfolgern Jesu. Das konnte sie nicht mehr aushalten. Irgendetwas tun. Wenigstens sein Grab pflegen. Und mit dem Grab die Erinnerung an ihn. Noch einmal den alten Träumen nachhängen. Noch einmal seine Stimme hören mit dem inneren Ohr. Noch einmal tief im Inneren den Gefühlen seiner Nähre nachspüren. Erinnerungspflege.

Welche Gräber sehen wir vor uns. Gräber erstorbener Hoffnung, erloschener Liebe, stumm gewordenen Glaubens. Nach welchen Gräbern sehen wir. Vielleicht ein Bild von Kirche und Gemeinde, wie wir sie einmal erhofft haben, wofür geträumt und gekämpft haben. Aber längst hat uns Tod und Trauer überholt. Die Umstände, die Undurchsetzbarkeit, die praktischen und pragmatischen Schwierigkeiten haben unsere Hoffnungen und Utopien den Gar aus gemacht. Vielleicht sehen wir auch das Grab unseres eigenen Weges in der Nachfolge vor uns. Mit welche Elan waren wir ihn angetreten, mit welchen guten Vorsetzen sind wir losgegangen. Aber vieles ist entschlafen, ins uns gestorben. Aber manchmal tut es gut nach den Gräbern zu sehen, nochmals in den guten, alten Erinnerungen zu schwelgen.

Maria und ihre Freundin, die andere Maria, kommen zum Grab. Doch sie finden es nicht so, wie sie es erwartet haben. Das Grab ist offen, der große Stein zur Seite gewälzt. Und darauf sitzt ein Mann in einem weißen Gewand, ein Engel. Er spricht die Frauen an: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Er ist nicht hier.“ Er ist nicht hier, wo wir seine Erinnerung pflegen, wo wir uns um sein Grab sorgen. Mit viel Treue, mit viel Mühe, sogar mit manchem Erfolg. Er ist nicht hier, wo wir uns eingerichtet haben, auch gegen unser besseres Wissen. Er ist nicht hier, wo wir „zufrieden“ sagen und „resigniert“ meinen. Er ist nicht hier, wo wir allein in diesem Leben auf Christus hoffen und ins leere Grab starren.

Oft stehen wir vor dem Grab unserer Erinnerung und starren hinein. Wir suchen, als ob es dort eine Antwort gäbe. Wir schauen bange zurück auf ehemalige, andere, vielleicht auch bessere Zeiten. Können unseren Blick nicht lösen, nicht von der Pflege der Erinnerung lassen, als ob es dort die Lösungen für die Fragen von heute gäbe.

Diese Geschichte von Maria von Magdala und ihrer Freundin ist zunächst die Geschichte einer Enttäuschung. Sie suchen ihre Erinnerung am Grabe des Mannes, dem sie gefolgt sind. Sie suchen Trost darin, zurück zu blicken, noch einmal die alten Träume zu träumen, nochmals die alten Gefühle und Gedanke zu beleben. Als könnte das für die Zukunft helfen. Diese Erwartung, die so bitter enttäuscht wird, zeigt einen folgen schweren Irrtum. Auch unter den Christinnen und Christen gibt es die Erwartung, die Auferweckung Jesu von den Toten und der Glaube an das Geschehen an Ostern, würde das Alte wiederbeleben. Als würde der Geist und die Kraft der Auferweckung alles wieder so machen, wie es früher einmal war. Als würde er unsere Erinnerung reanimieren. Ein folgenschwerer Irrtum, denn immer noch schauen wir dann ins leere Grab und merken, diese Hoffnung auf Wiederbelebung wird schwer enttäuscht von dem, was Ostern geschehen ist. Der Engel in seiner Botschaft an die Frauen macht es deutlich: „Er ist nicht hier, den ihr sucht, er ist auferstanden.“ Was sucht ihr Gottes neues, den Tod überwindendes Leben in der Enge eurer Todeswelt? Kommt und seht, wo er gelegen hat. Seht hin, da war er. Sein von dem Todesvirus eures Lebens gezeichneter Leib. Das ist eure Welt; nein, das war eure Welt. Denn er, der Gekreuzigte ist nicht hier, nicht in eurer Erinnerung, ihr findet ihn nicht im Festhalten am Alten und indem ihr darauf hofft, dass das Alte wiederbelebt wird. Das leere Grab ist die Stätte eurer Vergangenheit, nicht der Quell für neue Hoffnung.“

Die Botschaft des Engels ist damit noch nicht zu Ende. Er schickt die Frauen nicht einfach fort, ohne ihnen einen Hinweis zu geben, wo sie Jesus, und mit ihm das neue Leben finden können. Doch er sagt ihnen nicht einen anderen Ort, sondern gibt ihnen einen Auftrag. Er gibt denen einen Auftrag, die eigentlich selbst nichts mehr wissen und können. Nicht ein Rezept, nicht eine Anweisung, wo Gott zu finden ist, sondern einen Auftrag: „Geht schnell, eilends hin. Macht euch auf den Weg. Kehrt um. Weg von den Gräbern, hinein ins Leben. Sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist. Gebt sie weiter diese Lebensbotschaft. Denen, die hoffnungslos sind, die nicht einmal zur Pflege des Toten und ihrer alten Hoffnungen in der Lage sind. Den Verzagten, die sich nur noch auf das Leben diesseits der Gräber verstehen. Sagt es hinein in die tote Kirche, die sich nicht mehr bewegt, in der alles beim alten bleibt. Geht zurück in euren Alltag. Dort wo ihr lebt, wo ihr eure Aufgaben habt, mitten hinein in die Welt. Und siehe, er, Jesus, der Auferweckte, wird vor euch hingehen. Er geht voran. Von Ostern her geht sein Leben euch voraus, und ihr geht auf ihn zu, nicht auf den Tod. Dort mitten im Alltag dieser Welt, werdet ihr ihn sehen.“ Und die beiden Frauen lassen sich auf die Worte des Engels ein. Sie gehen los, um ihre Erfahrung anderen zu berichten. Doch damit ist das Ende der Geschichte noch nicht erreicht.

Für die beiden Frauen bedeutet es ein Doppeltes. Sie sind erfüllt mit Furcht und großer Freude. Zu Ostern gehört beides. Die Furcht, nicht zu wissen, was kommen wird, das Alte hinter sich lassen zu müssen. Zugleich aber die große Freude, Jesus im Neuen finden zu können. Möge uns der heilige Geist Gottes mit beidem erfüllen, mit Furcht und großer Freude, damit wir im Neuen, im nicht vermuteten, im Unerwarteten, Gott selbst und das Leben finden mögen.

AMEN

(Jürgen Stolze)

Geistlicher Impuls zu Johannes 17, 1-8
amPalmsonntag, am 10. April 2022

Liebe Geschwister,

wir feiern heute den Palmsonntag. Nun beginnt die heiße Phase der
Passionszeit, die Karwoche. In der täglichen Bibellese sind werden wir mit
hinein genommen in die letzten Tage des irdischen Lebens Jesu, wie sie der
Evangelist Johannes erzählt. In diesen Tagen lesen wir von seiner
Gefangennahme, den Verhören, dem Todesurteil usw. Das alles erreicht am
Karfreitag seinen schaurigen Höhepunkt. In dieser Woche begegnen uns in den
Bibeltexten die Leiden und Qualen, die Christus in seinem Prozess und den
Folterungen ertragen musste. Und zugleich begegnen uns unsere eigenen Nöte und
Ängste, körperlichen und seelischen Qualen, denen wir ausgesetzt sind. In allen
Stationen des Leidensweges Jesu, können wir unsere Gefühle und Empfindungen
wieder finden, meist um ein vielfaches verstärkt.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie es kommen konnte, das Jesus,
der Christus, der Sohn Gottes, der Messias, der Heiland und Erlöser der Welt,
solch einen Weg gehen musste. Wie konnte das alles so kommen, warum musste er
sterben und zuvor noch Qualen und Leid auf sich nehmen? In den Evangelien
finden wir verschiedene Zugänge, die uns die Zwangsläufigkeit verstehen lassen:
Jesu Auseinandersetzung mit den Mächtigen, seine Beliebtheit bei dem Volk und
seine notwendige Beseitigung, das Interesse der Römer am Frieden im Land. Theologisch
wird die Heilsbedeutung des Todes Jesu als des Todes Tod herausgearbeitet. In
den Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas erreicht der Weg Jesu seinen
Höhepunkt in der Gottesferne seines Todes.

Der vierte Evangelist, Johannes, geht – wie so häufig – in seiner
Darstellung des Lebens Jesu einen ganz anderen Weg. Aber auch er geht der Frage
nach, warum Jesus in den Tod gehen musste, warum er die Qualen und das Leid auf
sich genommen und wie es dazu kommen konnte. Der heutige Predigttext nimmt
diese Frage auf. Es ist der Anfang des sog „Hohepriesterlichen Gebets“ Jesu. Im
Johannesevangelium schließt dieses Gebet die „Abschiedsreden“, die Jesus seinen
Jüngern hält, ab (Kap 13-16). Nun betet Jesus für seine Nachfolger und die Kirche
zu Gott. Und in diesem Gebet geht es auch um seinen bevorstehenden Tod.

 

17,1      So redete Jesus, und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater,
die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche;

17,2      denn du hast ihm Macht gegeben
über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben
hast.

17,3      Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott
bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.

17,4      Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir
gegeben hast, damit ich es tue.

17,5      Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die
ich bei dir hatte, ehe die Welt war.

17,6      Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt
gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein
Wort bewahrt.

17,7      Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.

17,8      Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie
haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass
ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.

 

In diesen acht Versen dreht sich fast alles um das Wort „verherrlichen“
bzw. „Herrlichkeit“. Diese Begriffe kommen in den ersten fünf Versen fünf Mal
vor. Sie haben daher ein besonderes Gewicht. Von der Herrlichkeit bzw. dem
Verherrlichen ist in einer zweifachen Richtung die Rede: Zum einen ist es der
Vater, der den Sohn verherrlicht, zum anderen ist es der Sohn, der wiederum den
Vater verherrlicht. Wir wollen versuchen zu verstehen, was mit dieser
wechselseitigen Verherrlichung von Vater und Sohn gemeint ist, wie dies mit dem
Geschehen des Leidens und Sterbens Jesu am Kreuz im Zusammenhang steht und vor allem – das wichtigste, was das mit uns zu tun hat.

Jesus beginnt mit der Feststellung, dass die Stunde nun gekommen ist.
Es ist die Stunde des Abschieds, da er nun den Weg geht, von dem er von Anfang
an wusste. Er muss sich trennen, trennen von den Seinen, von denen, die ihm
nachfolgen, die ihn lieb gewonnen haben. Die Stunde ist da, die seinen
Leidensweg zu seinem Höhepunkt kommen lässt. Doch das verwundert: der Weg ins
Leiden wird hier als Verherrlichung dargestellt. Der Weg, der ans Kreuz führt,
der mit dem Tod endet, ist der Weg in die Herrlichkeit. Ganz im Gegensatz zu
den anderen Evangelien beschreibt Johannes dieses fast als eine Ruhmesstraße.
Natürlich geht es um das Leiden Christi, aber es wird nicht als etwas Dunkles
und Bösartiges beschrieben, sondern als der Weg, der ins Licht führt. Und so
bittet Christus seinen himmlischen Vater förmlich darum, „verherrliche mich,
deinen Sohn“. Es wirkt fast sarkastisch, denn das heißt zugleich: „Führe mich
in das Leiden hinein, bringe mich endlich bis zum Kreuz.“ Es scheint fast, als
habe der Tod hier schon allen Schrecken verloren.

Jesu Tod am Kreuz ist die Verherrlichung, die der Vater am Sohn
vollzieht. Und zugleich ist es die Verherrlichung, die der Sohn für den Vater
bewirkt. Ein wundersamer Gedanke. Aber er hat eine innere Stringenz, denn in
der Verherrlichung des Sohnes, die zugleich die Verherrlichung des Vaters ist,
kommt zu seiner Vollendung, was Gottes Weg mit der Menschheit immer gewesen
ist. Die Verse 4 und 5 bringen es auf den Punkt:
Auf Erden habe ich dich verherrlicht und das Werk vollendet, dass du
mir aufgetragen hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich,
bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
“ Mit
anderen Worten: Das Leben Jesu unter den Menschen, seine gelebte Zuneigung
Gottes zu denen Menschen, die ihm begegnet sind, seine Zeichenhandlungen, die
den Menschen Gottes Zuwendung und Sorge um seine Menschen verdeutlich haben,
seine Heilungen, die Gespräche, die Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit
führten. All dies war nur der Anfang. Schon sie haben der Verherrlichung des
Vaters gedient. Aber allein blieben sie unvollkommen.

Johannes betont es besonders: In Christus ist Gott ins Fleisch
bekommen, er selbst ist Mensch geworden. Wer Jesus Christus sieht, sieht den
Vater, den, der Mensch geworden ist. Gott selbst hat alle Trennung hinter sich
gelassen. Er selbst hat sich auf den weiten Weg zu uns Menschen gemacht. Er ist
geworden wie wir. Und dennoch, das alles bliebe unvollendet, unvollkommen,
Stückwerk, wenn er nicht unseren Weg bis zu Ende gegangen wäre. Es ist paradox,
aber in seinem Gebet bringt Jesus es zur Aussprache: Erst der Weg ans Kreuz,
mitten hinein in die Qual des menschlichen Daseins, ins Zentrum der
menschlichen Existenz, bringt Gottes Weg zum Menschen, ja bringt Gott selbst
zum Ziel. Am Kreuz ist Gott da, wo er hin wollte, nämlich ganz bei uns. Über
unserem Leben steht der Tod. Ihm können wir nicht entkommen. Er ist das Ziel,
auf das all unsere Leben und Wirken zuläuft. Und dieses Ende unseres Lebens hat
Gott für sich nicht ausgespart. Er wollte ganz so sein wie wir, darum ging er
unseren Weg bis zum bitteren Ende. Im Tod ist Gott ans Ziel gekommen.

Fragen wir nach dem Nutzen für uns, so bringt das V.2-3 zum Ausdruck:
Du hast ihm, dem Sohn, Macht gegeben über
alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast.
Das ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den
du gesandt hat, Jesus Christus, erkennen.
“ Jesus macht hier deutlich, dass
dieser Weg Gottes nicht nur ein Weg ist, den er selbst zu seinem Nutzen geht,
sondern er geht ihn für uns Menschen. Darin dass Gott uns bis in den Tod hinein
gleich wird, sollen wir das ewige Leben finden. Hier müssen wir einen weiteren
Aspekt mit hinzunehmen, mit dem Johannes die Jesusgeschichte erzählt: Ostern.
Das Johannesevangelium berichtet von Christus, von dem Mensch gewordenen Gott
aus der Perspektive der Auferstehung heraus. In dem Gott selbst den Weg des
Menschen bis zum Ende geht, bis in den Tod hinein, wird Gott zum Träger unserer
Qualen und Leiden. Gott selbst nimmt unsere Sorgen und Ängste, unsere
seelischen und körperlichen Leiden, unsere Trauer und unsere Mutlosigkeit auf
sich. Er teilt sie, ja sie werden zu seiner eigenen Trauer, zu seinen eigenen
Ängsten und Leiden, zu seinen Qualen.

Hier tritt die Dimension der Auferstehung hinzu. Gott selbst hat den
Tod hinter sich gelassen, indem er Christus vom Tode auferweckt hat. Er hat ihn
nicht im Grab gelassen, sondern hat ihn zu einem neuen, zu einem ewigen Leben
gerufen. Gott selbst ist von unseren Qualen, von unserer Trauer und unserem
Leid in ein neues Leben durchgedrungen. Wenn er nun alles mit uns teilt, wird
er uns auch das neue Leben, das ewige schenken.

Der Weg Christi ans Kreuz ist ein Weg zum Leben, zum neuen und zum
ewigen Leben, zum Leben in einer ganz neuen Dimension. Diesen Weg ist Christus
uns vorangegangen. Und wir dürfen ihm nachfolgen. Wir haben das Leben vor
Augen, das sich hinter dem Horizont von Leid und Schmerzen auftut. Um nicht
falsch verstanden zu werden: Der Weg Christi war ein Weg der Schmerzen, der
Pein und der Qual. Geißelung und Folter sind ihm nicht erspart geblieben. Ja
selbst den Tod hat er erlitten. So werden wir nicht mit einem Schlag von aller
Sorge befreit, aus aller Trauer herausgehoben, von allen Gebrechen befreit.
Aber Christi Gebet ruft uns zweierlei in Erinnerung: 1. Unser Weg ist nie ein
Weg ohne Gott. Er ist den Weg selbst vorausgegangen; und 2. Unser Weg für in
die ewige Herrlichkeit, wie Christus ihn voraus gegangen ist.
AMEN

(Jürgen Stolze)

Geistlicher Impuls zu Markus 10, 35-45
am Sonntag Judika, am 3. April 2022

10,35    Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.

10,36    Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?

10,37    Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.

10,38    Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?

10,39    Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;

10,40    zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

10,41    Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

10,42    Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

10,43    Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;

10,44    und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

10,45    Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Liebe Geschwister!

Wenn man die Geschichte zum ersten Mal hört, kann man die Empörung der zehn anderen Jünger gut verstehen. Das Anliegen, das die beiden Brüder Johannes und Jakobus an Jesus herantragen, ist doch wirklich unerhört. Die Reaktion der anderen Jüngern können wir uns lebhaft vorstellen: „Wie könnt ihr nur so egoistisch sein? Ihr denkt ja wieder nur an euch selbst. Warum wollt ihr den etwas besonderes sein? Was wird dann aus uns? …“ Es scheint dann nur zu gerecht, dass Jesus diesen beiden eine klare Abfuhr erteilt. Diese Größenwahnsinnigen werden zur Vernunft gebracht. So scheint die Geschichte ein gutes Ende zu nehmen. So weit der erste Eindruck. Ist mit diesem ersten Eindruck das, was der Evangelist Markus uns erzählen will wirklich schon verstanden? Vor allem: Warum erzählt Markus uns diese Begebenheit. Die ganze Erzählung lässt ja auf die Jünger kein sonderlich positives Licht fallen. Es geht in dieser Geschichte um mehr, als nur eine Begebenheit aus dem Jüngerkreis Jesu. Es geht um etwas Grundsätzliches in der Nachfolge. Dem wollen wir noch einmal etwas nach-denken.

Wenn ich mir das Verhalten der beiden Brüder Johannes und Jakobus nun etwas genauer anschaue, merke ich mit einem Mal, dass dasselbe Verhalten mir bis heute auf Schritt und Tritt begegnet. Worum geht es? Jakobus und Johannes geht es um Anerkennung. Sie möchten, dass der Einsatz, den sie für die Nachfolge Jesu bringen, anerkannt wird. Unser Predigttext schließt an die Frage nach der Nachfolge und die dritte Leidensankündigung Jesu an. In 10,28-31 kommt Jesus im Gespräch mit seinen Jüngern zu dem Ergebnis: „Wer bereit ist für die Nachfolge Jesu die weltlichen Dinge, sein altes Leben hinter sich zu lassen, der wird dafür reich belohnt werden.“ Dieses Versprechen nehmen Johannes und Jakobus jetzt auf. Sie wollen jetzt konkret wissen, was für sie dabei heraus kommt. Sie waren bereit, für die Nachfolge Jesu vieles aufzugeben. Ihr sicheres Einkommen, ihr Zuhause haben sie aufgegeben, um Jesus nachzufolgen. Die Sicherheit, die sie hatten, haben sie fahren lassen, um mit Jesus durch die Lande zu ziehen. Nun hören sie das Versprechen Jesu, alle die sich auf ein Leben mit mir einlassen, werden dafür belohnt werden. Jetzt nehmen sie Jesus beim Wort. Jetzt gehen sie hin zu ihm, und fragen: „Jesus, sage uns, wirst du auch unsere Bitten erfüllen. Wird das, was wir am Ende herauskriegen, das sein, was wir erhoffen?“ Und, was sie erhoffen, ist nicht wenig. Sie haben kein kleines Ziel. Nein, sie wollen schließlich, wenn Gottes Reich verwirklicht ist, neben Jesus sitzen und mit ihm die Welt regieren.

Als die anderen zehn Jünger das hören, empfinden sie das als Anmaßung. Was soll den aus ihnen werden. Direkt neben Jesus sind nur zwei Plätze frei. Und wo bleiben sie. An ihre Schwestern und Brüder haben Jakobus und Johannes nicht gedacht. Was Markus hier aus dem Jüngerkreis berichtet, ist doch nur allzu menschlich. Wir als Menschen sind darauf angewiesen, dass unsere Arbeit und unser Einsatz Anerkennung finden. Uns ist es wichtig, dass auch äußerlich deutlich wird: „Was Du getan hast, was du tust, das ist richtig. Gott wird dich dafür belohnen.“ Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist in unserem Leben als Christenmenschen wichtig und treibt uns um. Doch wie geht Jesus mit der Frage um?

Zunächst fällt auf, dass Jesus die Frage der beiden Brüder eigentlich gar nicht abweist. Er sagt nicht kurz und schmerzlos: „Was ihr da wollt ist Quatsch. Ihr maßt euch da was an, was euch gar nicht zusteht.“ Nein, Jesus geht mit der Frage sehr feinfühlig um. Auch mit dem Protest der anderen Jünger geht Jesus sehr behutsam um. Er gibt den Zehn nicht einfach recht, sondern Jesus geht grundsätzlich auf die Frage der Anerkennung, der Macht und der Belohnung in der Nachfolge ein. Jesus spricht von sich selbst. Er sagt, was er in die Beziehung zu den Menschen, zu seinen Jüngerinnen und Jüngern einbringt. Zusammen gefasst ist das am Ende des Textes im Wochenspruch: „Der Menschensohn, also ich, Jesus, bin nicht zu euch gekommen, damit ich alles bestimme. Ich will mir nicht dienen lassen. Nein, ich bin gekommen, um meine Interessen hinten an zu stellen. Für mich sind erst die anderen, ihr als meine Jüngerinnen und Jünger, wichtig. Für euch will ich etwas tun.“

Jesus macht in diesem Wort etwas deutlich, was sein ganzes Leben auf der Erde bestimmt hat. Es geht ihm nicht darum, Macht auszuüben. Er ist nicht gekommen, um Menschen zu irgendetwas zu zwingen. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die Macht an sich zu reißen. Wegen der Wunder, die er getan hatte, hätte er die Massen der einfachen Menschen auf seine Seite ziehen können. Mit dem Volk, den Massen, im Rücken hätte er die Regierungsmacht an sich reißen und das Volk regieren können. Doch das wollte Jesus nicht. Jesus steigt aus der Struktur dieser Welt aus. Jesus macht den Ablauf dieser Welt nicht mit. Jesus steigt aus der Spirale der Macht und der Angst. Jesus macht es am Beispiel von den Herrschern dieser Welt deutlich. Macht braucht meist auch die Angst, um wirklich wirken zu können. Macht und Machtausübung führt immer wieder zu Angst und Furcht. Wer die Macht hat, will sie demonstrieren, will sie zeigen an Menschen und Geschicken. Doch leider ist das Spiegelbild der Macht meistens die Angst. Wer die Macht hat, will sie nicht teilen, darum muss er seine Gegner abschrecken. Der Gegner muss Angst haben, Angst davor, die Macht des einen oder der einen Gruppe anzutasten.

In seiner Antwort macht Jesus nun deutlich. In ihm, Jesus dem Menschensohn, kam Gott selbst auf die Erde. Als Gott Mensch wurde, hat er auf alle Macht verzichtet. Gott hätte die Menschen zu einem Leben mit ihm zwingen können. Gott hätte seine Macht einsetzen können, um die Menschen dazu zu bewegen, ihm zu folgen. Doch darauf hat Gott verzichtet. Wenn Gott seine Macht eingesetzt hätte, hätte das wieder zu Angst geführt. Hätte Gott die Menschen gezwungen, mit ihm zu leben, hätte ich als Mensch in der beständigen Furcht leben müssen, Gottes Anspruch nicht gerecht zu werden. So hat Gott auf die Macht verzichtet. Gott hat so sehr auf die Macht verzichtet, dass er für seinen Machtverlust gestorben ist. In der Passionszeit erinnern wir uns an den Machtverlust Gottes. Am Kreuz auf Golgatha wird eindrücklich: Gott hat auf alle Macht verzichtet. Machtloser als tot am Kreuz hängend konnte Gott nicht sein. Darum ist das Kreuz von Golgatha zum Zeichen der Liebe, zum Zeichen gegen die Macht und den Machtmissbrauch, zum Zeichen gegen die Angst und die Furcht geworden. Darauf weist Jesus seine Jünger hin.

Jesus weist seine Jünger zurecht. In ihrer Mitte, in der christlichen Gemeinde soll es nicht darum gehen, die Macht zu behaupten. Es soll nicht darum gehen, dass eine oder einer oder gar eine Gruppe mehr Anerkennung besitzt als andere. In der Gemeinde soll es kein Machtstreben, Suche nach Einfluss geben. Jesus ist daran gelegen, dass die Schwestern und Brüder in der Gemeinde ohne Angst miteinander leben können. Wer sich in der Gemeinde einbringen möchte, der soll dem anderen dienen. Jesus meint damit, gar nicht erst die Angst beim anderen zu provozieren. Wer dient, überwindet die Angst, weil er oder sie deutlich macht: „Ich will nicht über dich bestimmen, sondern ich suche nach Deinem Besten.“ Jesus ist uns zum Vorbild geworden. Er hat sein Leben gelassen, damit wir ohne Angst leben können.
AMEN

(Jürgen Stolze)

Geistlicher Impuls zu 2. Korinther 1, 3-7
am Sonntag Lätare, am 27. März 20

1,3        Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der
Barmherzigkeit und Gott
allen Trostes,

1,4        der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten
können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber
getröstet werden von Gott.

1,5        Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir
auch reichlich
getröstet durch Christus.

1,6        Haben
wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so
geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld
dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.

1,7        Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den
Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.

 

 Liebe Geschwister,

 Paulus nimmt seinen Ausgangspunkt in diesem Gedankengang bei Gott.
Gott ist der Vater der Barmherzigkeit und der Gott allen Trostes. Dass der
Apostel Gott als den großen Tröster preist, hat damit zu tun, dass er selbst
Gottes Trost in seinem Leben immer wieder erfahren hat und ihn bitter nötig
hatte.

Paulus hat schwere Auseinandersetzungen hinter sich. Das Verhältnis
zur Gemeinde in Korinth war angespannt. Sie hatte ihn angegriffen und
kritisiert wegen seiner vermeintlichen Schwäche im Reden, Auftreten und
Glauben. Das haben sie bereinigen können, aber Paulus schwingt sich nun nicht
auf zur Pose der Überlegenheit. Das hätten seine Gegner in Korinth gern
gesehen. Souveränität und Ausstrahlung waren genau der Maßstab eines Apostels,
dem Paulus nicht genügte.

Für Viele ist das ja immer noch der Maßstab, dass der richtige Christ
alles Leid im Gebet und in der Kraft des Geistes besiegt, dass es keine
Niederlagen mehr gibt für den, der in Christus ist. Und so treten sie
vollmundig auf mit ihrem Anspruch an sich und an andere. Paulus haben sie nicht
auf ihrer Seite. Denn er tritt nicht als Sieger auf. Vielmehr gibt er sich als
angefochten, trostbedürftig und getröstet zugleich zu erkennen. Was für ein
trostreiches Vorbild: Es tröstet der, der angefochten und schwach selbst auf
Trost angewiesen ist.

Paulus spricht von seinen Leiden und seinen Erfahrungen nicht, weil er
sich für besonderes Beispiel hält. Sondern Erfahrungen des Leidens kennzeichnen
unser menschliches Leben. Traurigkeit und Sorge bestimmen unser Leben. Als
Menschen bedürfen wir es immer wieder, dass wir getröstet werden. Dass uns das
Gefühl vermittelt wird, dass jemand uns zur Seite steht, mit uns fühlt und uns
ein gutes Wort sagt.

Für Paulus ist es nun Gott selbst, der uns diesen Trost zuspricht.
Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes. Diese Aussage begründet er nun
mit dem Leiden und Sterben Christi.

Zunächst macht der Apostel deutlich, dass das Leiden Christi etwas mit
unserem menschlichen Leben und Ergehen zu tun hat. Die Qualen, die Jesus tragen
musste, verbinden ihn mit der Erfahrung vieler Mensch. In Christus ist Gott
selbst Mensch geworden und hat unser Leben in allen Bereichen mit uns geteilt.
Auch vor dem bitteren Ende schreckte er nicht zurück, sondern ließ die
Folterungen und die Hinrichtung geschehen. Nichts Menschliches ist Christus,
dem Sohn Gottes, fremd geblieben, so dass er unsere Sorgen und Ängste, Nöte und
Qualen bis in die Tiefe hinein verstehen kann.

Für Paulus hat dieser Gedanke die Konsequenz, dass der Gott, der alle
Tiefen des menschlichen Scheiterns mit uns geteilt hat, derjenige ist, dem wir
uns gerade in den dunklen Stunden unseres Lebens anvertrauen können. Gerade in
den Momenten, in denen wir uns von aller Welt verlassen und in unseren Sorgen
einsam fühlen, ist Gott, der Vater Jesu Christi, uns nah. Bei ihm finden wir
ein offenes Ohr; er kann uns mit unseren innersten Gefühlen verstehen, weil er
die Tiefen des Lebens mit uns geteilt hat. Er bietet uns seine Hand an, an die
wir uns klammern können, wenn nichts anderes uns mehr Halt zu geben vermag. Er
gibt uns das Gefühl der Geborgenheit mitten in den Stürmen des Lebens, so dass
wir uns getröstet den Herausforderungen unseres Lebens stellen können.

So werden wir getröstet und können andere trösten. Denn wir
verkündigen und hören die frohe Botschaft von Jesus Christus. Liebevoll gehen
wir in der Gemeinde miteinander um. Hören aufeinander, fragen nacheinander,
reden miteinander. Wir lassen Raum für die Klage, damit Menschen gegen Gott zu
Gott rufen können. Das Leiden, das viele Menschen erleben, braucht diese
Möglichkeit. Das Leid auch in unserer Gemeinde ist wahrscheinlich größer, als
wir ahnen. Körperliche Einschränkungen, die Angst vor der todbringenden
Krankheit; die ständige Pflege eines hilfsbedürftigen Menschen; die unerklärliche
Traurigkeit, die Sprachlosigkeit in Ehen, die Zweifel im Glauben, die
Überforderung durch Beruf und Familie.

Wer sich auf Menschen einlässt, wird immer auch anfangen, ihr Leid
aufzuspüren. Aber genau darin liegt der Weg zum Trost. Er führt uns zueinander.
Er bindet uns als Gemeinde aneinander. Und wir werden so etwas wie eine
Trostgemeinschaft. Wir gehen hin und besuchen Menschen im Krankenhaus. Halten
es aus, dass niemand sagen kann, wie es weiter geht und ob irgendetwas wieder
gut wird. Wir gehen zu Beerdigungen, gehen mit ans Grab, reichen Angehörigen
die Hand und wissen nicht, was wir sagen sollen. Sind einfach nur da. Wir
weichen nicht aus, wir lassen Trauernde nicht allein. So haben wir teil am
Leiden Christi. Und werden an den einzigen Ort geführt, wo uns Ermutigung von
Grund auf geschenkt wird.

Paulus war in größte Bedrängnis geraten; er dachte, sterben zu müssen.
Aber Gott erhielt ihm das Leben. Andere kommen nicht wieder zurück. Und gehen
den Weg, den Jesus gegangen ist: in den Tod.

Im Vertrauen darauf, es ist nicht das Ende. Der gekreuzigt wurde, ist
auferstanden. Darin liegt die Kraft von Gottes Trost. Wir werden befreit, vor
Leiden und aus Konflikten davonzulaufen oder dem Wunschbild unangefochtenen
Glaubens hinterherrennen zu wollen.

In Bedrängnis schenkt Gott Trost; in Verzweiflung Mut, in Schwachheit
Kraft, in Schuld Vergebung, im Tod das Leben.

So werden wir getröstet von Gott und mit Hoffnung beschenkt: „wie ihr
an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben“.

AMEN

(Jürgen Stolze)

 

Geistlicher Impuls zu 1. Könige 19, 1-15
am Sonntag Okuli, am 20. März 2022

 

19,1     Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.

19,2     Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!

19,3     Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.

19,4     Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.

19,5     Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss!

19,6     Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.

19,7     Und der Engel des Herrn kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.

19,8     Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

19,9     Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm: Was machst du hier, Elia?

19,10   Er sprach: Ich habe geeifert für den Herrn, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.

19,11   Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben.

19,12   Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

19,13   Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?

19,14   Er sprach: Ich habe für den Herrn, den Gott Zebaoth, geeifert; denn Israel hat deinen Bund verlassen, deine Altäre zerbrochen, deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir das Leben nehmen.

19,15   Aber der Herr sprach zu ihm: Geh wieder deines Weges durch die Wüste nach Damaskus und geh hinein und Hasaël zum König über Aram.

 

Liebe Geschwister,

 es ist schon ein dramatischer Sturz, dessen Zeugen wir hier werden. Erinnern wir uns, was diesem Text voraus geht. Es ist Elija nicht nur gelungen, die feindlichen Priester des – aus seiner Sicht – falschen Glaubens an Baal als machtlosen Gesellen zu entlarven. Es geht nicht nur um die unaufgebbare Alternative zwischen Gott und Baal. Vor diese Wahl hatte Elija das Volk Israel gestellt: „Wie lange hinkt ihr noch auf beiden Seiten? Ist der Herr Gott, so wandelt ihm nach. Ist es aber Baal, so wandelt ihm nach.“ (18,21) Es geht auch nicht nur um die Aufkündigung unhaltbarer Kompromisse in Sachen der Religionsvermischung zwischen Gottesglauben und Baalsreligion. Die Auseinandersetzung zwischen Elija und den Baalspriestern endet mit einem Blutbad an bereits 450 Priestern, die bereits alle Macht verloren haben. (Das ist übrigens heute kein akzeptables Modell für den Umgang mit Andersgläubigen in Zeiten der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft.) Der Gott Israels, für den Elija eintritt, hat schließlich alle seine Macht gerade dort erwiesen, wo die Menschen der damaligen Zeit den Gott Baal eigentlich seine Stärke hat: Regen. Nach der katastrophalen Dürre regnet es wieder. Elija ist wahrhaft in einen Rausch geraten. Der Erfolg, den er errungen hat, bringt ihn Verzückung. Der Sieg über Baal und der wiederkehrende Regen. Seine Freude setzt geradezu übermenschliche Kräfte in ihm frei. Elija auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeiten.

Doch dann der dramatische Einbruch. Es ist ein radikaler Stimmungsumschwung, der uns kaum nachvollziehbar erscheint. Es reicht ein Machtwort der Königin Isebels, der Frau Ahabs, um den Propheten nun in die Flucht zu schlagen. Auf den Triumph folgt der Eindruck einer katastrophalen und totalen Niederlage, auf die Allmachtsphantasien, die Elija auf dem Karmel geträumt hat, folgt die Todesangst, die schließlich gar zur Todessehnsucht wird.

Hier ist Erfahrung ausgedrückt, die sich den meisten nicht fremd ist. Gerade in den glücklichen Momenten des Lebens überkommen einen manchmal gewaltige Ängste. Die Umwelt wird sehr genau auf mögliche Gründe hin untersucht, die einen von den Höhepunkten wieder herunterziehen. Verlustangst ergreift uns, die uns schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt. Elija ist nun auf dem Tiefpunkt seines Lebens angekommen. Er flüchtet. Er flieht nicht nur aus dem Nordreich Israel, dem Einflussgebiet der Königin Isebel. Er läuft über das Nachbarland Juda hinaus – bis in die Wüste. Und es stellt sich uns die Frage, ob es wirklich nur die Angst vor dem Racheakt der Königin ist, die Elija aus dem Rausch des Erfolgs übergangslos in die Depression treibt? Nach V.4 wünscht sich mit einem Mal Elija selbst den Tod, während V.3 seine Flucht noch mit der Todesangst begründet: „Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben.“ (V.3) Nun aber: „Er wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug.“ (V.4) Was ist der Grund, dass aus der Todesangst so schnell eine Todessehnsucht wird. Ist es die Last des prophetischen Amts, die Elija mit einem Mal zu schwer wird? Oder geht es um die besondere Gestalt seines Auftrags? In der Erzählung bleibt die Frage offen. Wir haben hier kein beschreibendes Psychogramm des Elija, sondern der Erzähler hat Interesse daran, wie Elija wieder auf seinen Weg zurückfindet.

Eine Bote tritt an Elija heran, der der Speise und des Tranks bedarf. Elija erhält Kraft, um weiter zu gehen. Doch der Weg führt ihn zunächst nicht zurück zu seiner Aufgabe, sondern weiter in die Einsamkeit. So kommt Elija an den Gottesberg in der Wüste. Der Prophet darf sich zunächst in einer Höhle verkriechen. Gott bietet ihm einen Schutzraum, ganz in seiner Nähe. Die Höhle dient als Bild des ungefährdeten Versorgtseins und der Harmonie. Dann erfolgt die Gottesbegegnung.

Gott erscheint nun nicht in den Naturgewalten: Sie gehen vor ihm her. Doch Gott selbst ist gegenwärtig im „stillen sanften Säuseln“. Das Hebräische lässt sich nun ungenügend wiedergeben: gemeint ist der „Klang des Nichts“. Wie das Schweigen manchmal als Bedrohung laut und unerträglich werden kann. Hier ist an den Klang der Stille gedacht; die „Ruhe nach dem Sturm“. Elija weiß sofort Bescheid. Es ist eine andere Gottesbegegnung als Elija sie erwartet hat. Zumindest ist sie anders, als wir als Leserinnen und Leser der Geschichte es erwarten. Wir erwarten Gott meistens in den besonderen Momenten und Erfahrungen. Es ist aber die Stille, die uns seine Stimme vernehmen lässt.

Zwei Mal bringt der Prophet seine Klage am Gottesberg vor. Immer auf die Frage: „Was tust/willst Du hier?“ Elijas Klage ist bitter und resigniert. Zwei Mal bekommt Elija keine direkte Antwort. Das erste Mal wird die Begegnung mit Gott angesagt. Das zweite Mal wird Elija auf seinen Weg zurück in das richtige Leben geschickt. Hier wird dem Wunsch begegnet, den Moment der Gottesbegegnung festhalten zu wollen. Gerne würde Elija am Gottesberg bleiben; doch das kann er nicht. Denn Gott erneuert seinen Auftrag und sendet ihn zurück – der weiteren Bedrohung zum Trotz.

Von der Begegnung mit Gott führt unser Weg immer wieder in das Leben und den Alltag zurück.
AMEN

(Jürgen Stolze)

Geistlicher Impuls zu Matthäus26, 36-46
am Sonntag Reminiszere, am 13. März 202

 

26,36   Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach
zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete.

26,37   Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an
zu trauern und zu zagen.

26,38   Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod;
bleibt hier und wachet mit mir!

26,39   Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete
und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber;
doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!

26,40   Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu
Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?

26,41   Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist
willig; aber das Fleisch ist schwach.

26,42   Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater,
ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke,
so geschehe dein Wille!

26,43   Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller
Schlaf.

26,44   Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und
redete abermals dieselben Worte.

26,45   Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter
schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die
Hände der Sünder überantwortet wird.

26,46   Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

 

 Liebe Geschwister,

 der Garten Gethsemane liegt am Fuß des Ölbergs in Jerusalem. Seine uralten Olivenbäume ziehen noch heute
unzählige Touristen an. Seine uralten Olivenbäume und das, was damals dort geschah – vor
fast 2000 Jahren.

Nach dem letzten Abendmahl mit
seinen Jüngern zieht sich Jesus dorthin zurück. Bevor sein Leiden, seine
Passion beginnt, sucht er noch einmal einen Rückzugs-ort auf. Einen solchen
Ort, einen Rückzugsort brauchen wir alle, wenn ein schwerer Weg auf uns wartet.
Keiner von uns kann sich einfach so in die Herausforderungen des Lebens
hineinstürzen. Einen solchen Ort, einen Rückzugsort brauchen wir alle. Doch
haben wir alle einen Rückzugsort – einen Ort, an dem wir uns vorbereiten können
auf das, was kommt, an dem wir uns stärken können für das, was kommt?

Jesus geht nicht allein in den
Garten Gethsemane. Er nimmt seine Jünger mit – alle außer Judas, der sich schon
vorher verabschiedet hat, der etwas anderes zu tun hat. „Setzt euch hierher,
solange ich dorthin gehe und bete“, sagt Jesus zu den Elf. Er will beten, und
seine Jünger sollen einfach unter den uralten Bäumen sitzen und warten. Es tut
gut, Menschen in seiner Nähe zu wissen – Menschen, die einfach da sind,
Menschen, die zu einem gehören, Menschen, denen man nichts erklären muss, die
auch nicht fragen. Doch wir wissen: So einfach ist das gar nicht. Es ist gar
nicht so einfach, für jemanden anderen da zu sein. Manchmal fehlt uns die Zeit
dazu, manchmal die Kraft und manchmal auch das Verständnis, warum ein Dasein
überhaupt nötig ist.

Menschen, die da sind, wenn
man sie braucht – das müssen übrigens nicht viele sein. Im Gegenteil: Zum
Anteilnehmen und Anteilgeben braucht es nur wenige. Bei Jesus waren es – genau
genommen – nur drei. Er bittet die Elf, in seiner Nähe zu bleiben, aber nur
drei von ihnen nimmt er noch ein Stückchen weiter mit: Petrus, Jakobus und
Johannes. Nur diese drei.

Wer könnten diese drei für
Euch sein? Hättet
Ihr drei Menschen, die Ihr noch ein Stückchen weiter mitnehmen könnten – in
Euren ganz persönlichen Raum der Stille und des Gebets, der totalen Offenheit
und des unbedingten Vertrauens? An den Ort, an dem man erkennen kann, wie es
einem wirklich geht, an dem man nicht stark, nicht entschlossen, nicht tapfer
sein muss, wenn einem etwas Schweres zugemutet wird? Wenn Euch jetzt drei Namen
einfallen, dann könnt Ihr euch glücklich schätzen. Es wäre schon ein Glück,
wenn es wenigstens einen gäbet, zu dem man sagen kann: „Bleibe hier und wache
mit mir, wache und bete.“

Petrus, Jakobus und Johannes
hat Jesus ganz eng an sich herangelassen. Doch dann geht er noch ein
Stückchen weiter in den Garten Gethsemane hinein, ganz allein. Dort wirft er sich auf die
Erde und betet. Er bittet seinen himmlischen Vater: „Lass diesen Kelch an mir
vorübergehen!“ Mit anderen Worten: „Bitte nicht! Bitte nicht ich! Bitte nicht
jetzt! Bitte nicht so!“ Jesus ist keineswegs von vornherein einverstanden mit
dem, was ihm da zugemutet werden soll: Verhaftung und Verhör, Spott und Folter,
Kreuz und Leid, Sterben und Tod. „Bitte nicht diesen Kelch“, sagt Jesus und
reagiert damit zunächst einmal genauso wie wir alle auf das zugemutete Schwere
in unserem Leben. Jesus erscheint hier nicht als der Held, den nichts schrecken
kann, sondern er bittet um Verschonung. Und er zeigt uns damit: So darf es
sein. Es ist erlaubt, dass wir aufbegehren gegen das Leid und den Schmerz, der
uns zugefügt oder auferlegt wird. Es ist erlaubt, dass wir nicht einverstanden
sind mit dem, was uns trifft. Es ist erlaubt, dass wir widersprechen. Gott im
Gebet zu widersprechen, das ist kein Unglaube, das ist nicht gottlos. Sondern
das gehört zu einem gelebten Glauben dazu. Dafür ist Jesus unser Zeuge. Dafür
können wir uns auf ihn berufen.

In den Garten Gethsemane hat
man eine Kapelle hineingebaut, die man die „Todesangstbasilika“ nennt. Hätte
man Petrus, Jakobus und Johannes ein Denkmal setzen wollen, es wäre vermutlich
ein Schlaflabor geworden. Denn ausgerechnet sie, Jesu engste Vertraute, die er
in schonungsloser Offenheit an sich heranlässt, ausgerechnet sie wachen und
beten nicht,
sondern sie schlafen ein. Sie sind ihrer Müdigkeit und Erschöpfung, sie sind
der Anforderung nicht gewachsen. Was für eine bittere Erfahrung muss das für
Jesus gewesen sein. Was für eine bittere Erfahrung muss das auch für die drei
Jünger gewesen sein. Das muss man einfach wissen und zugestehen: Wenn wir einen
anderen Menschen in allerbester Absicht in seiner Not begleiten wollen, dann
kann es vorkommen, dass wir daran scheitern, weil uns die totale Erschöpfung
übermannt. Und wenn wir andererseits auf die hellwache Nähe und Begleitung
eines anderen Menschen hoffen, weil wir selbst in der „Todesangstbasilika“
sitzen, dann müssen wir barmherzig sein, wenn sich unsere Hoffnung unter
Umständen nicht erfüllt. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!“

Im Garten Gethsemane hat Jesus
im Gebet und in Todesangst mit Gott gerungen. Zuerst hat er um Verschonung
gebeten, dann um Vertrauen. Zuerst hat er gebeten: „Bitte nicht!“, dann „Nicht
mein Wille geschehe, sondern deiner.“ Zuerst war Widerstand da, dann Ergebung.
Vielleicht ist es Euch aufgefallen: Es gibt da noch immer zwei
Willen: Jesu Willen und den des Vaters. Und diese beiden Willen wollen noch immer
Unterschiedliches. „Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner“ – das bedeutet
keine völlige Übereinstimmung, kein vorbehaltloses Einverständnis, sondern es
bedeutet: „Wenn mein Wille nicht geht, dann eben deiner, du rätselhafter Gott,
der du trotz allem mein Vater bist.“ Jesus kapituliert nicht vor dem Willen
Gottes, sondern er lässt sich mit seinem eigenen Willen und mit seinen
Vorbehalten in den Willen des Vaters hineinfallen. Vielleicht kommt es allein
darauf an: Dass wir uns am Ende und trotz allem, was uns rätselhaft und unzumutbar
erscheint, in den Willen Gottes hineinfallen lassen – mit unserem eigenen Willen und mit unseren
Vorbehalten.

Im Garten Gethsemane kann man
nicht übernachten. Es gibt feste Öffnungszeiten für die zahlreichen Besucher
und irgendwann ist Schluss. Irgendwann müssen sich auch die uralten Olivenbäume
einmal erholen. Auch Jesus hat nicht im Garten Gethsemane übernachtet. Er hat
sich dort nicht versteckt. Nachdem er sich in den Willen Gottes hat
hineinfallen lassen, wird er, der eben noch gezittert und gezagt hat, ganz
stark und selbstbewusst. Jesus wartet nicht passiv auf sein Leiden, auf seine
Passion. Im Gegenteil. Er sagt zu seinen Jüngern: „Steht auf! Lasst uns gehen!
Siehe, er ist da, der mich verrät!“ Es ist ein Unterschied, ob sich jemand
geschlagen gibt, sich kraftlos in sein Schicksal fügt, oder ob er aufsteht und
aufrecht dem Unvermeidbaren entgegengeht. Mit geradem Rücken und erhobenem
Haupt. Selbstbestimmt, entschlossen, bereit. So geht Jesus denen entgegen, die
sich von Judas zeigen lassen, wo er ist und wer er ist.

Und dann wird Jesus abgeführt.
Seine Zeit im Garten Gethsemane endet. Sein Leiden, seine Passion beginnt.
Morgen werden wir uns in besonderer Weise daran erinnern – am Karfreitag. Unter
dem Kreuz. Unter seinem Kreuz. Beladen vielleicht mit unseren ganz eigenen
Kreuzen.
AMEN

(Jürgen Stolze)

Geistlicher Impuls zu 2. Korinther 6, 1-10
am Sonntag Invokavit, am 6. März 2

 

6,1       Als Mitarbeiter
aber ermahnen wir euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt.

6,2       Denn er spricht (Jesaja 49,8): «Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört
und habe dir am Tage des Heils geholfen.»

            Siehe, jetzt ist die Zeit
der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

6,3       Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht
verlästert werde;

6,4       sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld,
in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten,

6,5       in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im
Fasten,

6,6       in Lauterkeit,
in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter
Liebe,

6,7       in dem Wort
der Wahrheit, in der Kraft Gottes,
mit den Waffen
der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,

6,8       in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als
Verführer und doch wahrhaftig;

6,9       als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden und
siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet;

6,10     als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen,
aber die doch viele reich machen; als die nichts haben, und doch alles haben.

 

Liebe Geschwister!

Der Apostel Paulus spricht hier von sich und seinem Dienst in der Verkündigung und in der Mission Gottes. Doch besteht eine gewisse Gefahr für uns. Weil Paulus über sich und seinen Dienst schreibt, könnten wir uns zurücklehnen und es als die Lebensbeschreibung eines Menschen hören, der vor vielen Jahrhunderten gelebt hat. Wir könnten das, was Paulus hier schreibt, als einen historischen Bericht hören, ohne dass er uns persönlich betreffen und berühren würde. Damit hätten wir Paulus gründlich missverstanden, denn gerade das will er nicht. Er will keinen Bericht geben, der uns auf Abstand hielte, sondern er will uns mit hineinziehen in sein Leben, in sein Denken und in sein Ergehen.
Paulus spricht von „wir“. Das verwundert zunächst. Ist das nur eine stilistische Eigenart, vielleicht eine besondere Form von Höflichkeit, um sich selbst nicht so sehr in den Mittelpunkt zu schieben. Paulus könnte auch an seine Mitarbeiter denken, Silas, Timotheus, Lukas und wie sie alle hießen. Ich denke, wir dürfen das „wir“ des Paulus auch so hören, dass wir mit hinein genommen werden. Und zwar so, dass Paulus an seiner Person deutlich macht, was für als Christen grundsätzlich und zu aller Zeit gilt. Paulus rückt uns somit sehr nahe auf die Pelle. In diesem Sinne stellt der Apostel uns die Frage „Was macht einen Christen aus?“ Wie gestaltet sich christliches Leben? Und Paulus nimmt uns mit auf den Weg, den er selbst gegangen ist.
 In drei Schritten wollen wir den Weg des Paulus mitgehen:

I. Gerufen in das Heil Gottes
 Vielen in unseren Tagen sprechen von Krisenzeiten. In unserer Gesellschaft, so wird uns gesagt, müssen tief greifende Veränderungen durchgeführt werden, damit es wieder besser werden kann. Und auch in der Kirche sprechen viele von schweren Zeiten. Allenthalben wird von schlechter werdenden Zeiten und Zuständen und von Krisen gesprochen. Da kann einem schon angst und bange werden. Doch gerade in diese Situation erinnert Paulus die Christen an die Prophetie des Jesajabuches in der Situation des Exils. Denn er spricht (Jesaja 49,8): «Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.»
  Dies wendet Paulus in einer ganz interessanten Weise auf die Gegenwart an, wenn er fortfährt: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! In Christus hat Gott das Heil geschaffen, gerade in der Zeit, als uns angst und bange ist. Mitten in die Krise hinein spricht Gott sein Wort: „Jetzt, jetzt ist es soweit, jetzt begegnet dir meine Gnade, jetzt ist die Stunde des Heils, jetzt, mitten in der Krise. Und noch weiter:
 Das ist das erste, was einen Christenmenschen ausmacht. Er ist gerufen von Gott in die Versöhnung hinein. Daran werden wir heute erinnert: Gott ist uns in seiner Gnade begegnet, uns hat er zugesprochen, dass unser Leben heil und ganz werden kann. Das macht das Leben eines Christenmenschen aus.

II. Das Heilsangebot Gottes annehmen
 Paulus erinnert die Gemeinde in Korinth und uns daran, dass das Heilsangebot Gottes uns zur Antwort heraus fordert: Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. Die Gnade und Zuwendung Gottes haben wir empfangen. Doch Gottes Zuwendung wartet auf unsere Antwort. Wenn die Antwort ausbleibt, wirkt die Gnade an uns ohne Erfolg. Gott zwingt uns seine Gnade nicht auf, sein Heil vergewaltigt uns nicht. So nimmt Gott uns als Gegenüber ernst.
 Gott reicht uns seine Hand, und wir können sie ergreifen, so kann unser Leben heil und ganz werden. Wir hören Gottes Angebot in der Predigt, wir sehen seine ausgestreckte Hand im Sakrament, wir erfahren Gottes Nähe in der Gemeinschaft mit den Schwestern und Brüder. Und das Hören, das Sehen und Erfahren fordert uns heraus. Es stellt uns vor ein Entweder-Oder, vor Annahme oder Nicht-Annahme. Bleiben wir stumm, empfangen Gottes Gnade vergeblich, erfolglos. Wie geschieht diese Annahme?
 Paulus meint hier nicht eine einmalige Bekehrung. Es geht nicht um einen einmal gefassten Entschluss, nicht um ein theoretisches Akzeptieren einer Lehre. Denn hält die Annahme nicht durch, war sie vergeblich. Immer wieder sind wir von Gott herausgefordert, seine Hand zu ergreifen. Denn „Heute ist der Tag der Gnade, heute ist die Stunde des Heils“, nicht gestern oder vor vielen Jahren. Unser tägliches Leben soll diese Annahme des Angebots Gottes widerspiegeln.
  Das leitet uns zum dritten Punkt:

III. Das Leben mit Gott
 Paulus macht das an seinem eigenen Leben deutlich in einer langen Liste, ganz unterschiedlicher Situationen. Dazu drei kurze Gedanken:
 1. Lebensveränderung: Gottes Gnade verändert unser Leben. „Neues ist geworden“. Das heißt nicht, dass mit einem Schlag alles gut werden. Christsein ist nicht immer eine Erfolgsgeschichte.
2. Annahme in allen Lebenssituationen: Gottes Zuwendung zu ertragen und sie zu akzeptieren, fällt uns leicht in Stunden des Glücks und der Freude. Aber gerade im Misserfolg und im Zweifel bietet Gott uns seine Hand an. Nicht um die Not postwendend zu ändern, sondern sie mit uns durchzustehen. Botschaft der Passionszeit.
3. Wir erweisen uns als Diener Gottes in allem was uns geschieht. Die Gnade Gottes wirkt so in uns, dass Gott durch uns in diese Welt hinein wirkt.

Das macht einen Christenmenschen aus:
   1. Er empfängt die Gnade und Zuwendung Gottes.
   2. Er antwortet auf Gottes Gnade mit seinem ganzen Leben.
   3. Er lässt sein ganzes Leben von Gott begleiten und gestalten.
    Diesem nachzuspüren, lädt uns die Passionszeit ein.
AMEN